The Experiential Response (de)
Felt Sense
Den Felt Sense explizieren
Sensibilität: verschiedene Richtungen für einen erlebensmäßigen Fortschritt ausprobieren
Auf der Erlebensspur bleiben
Erlebensorientierte Bezugnahme: Unsere Antworten weisen auf den Felt Sense hin
Fortsetzen (carrying further)
Das "Fortsetzen" leitet die Therapeutin, nicht umgekehrt
Veränderung des Bezugspunkts (referent movement): der "Felt Shift"
Der erlebensorientierte Gebrauch von Konzepten
Erlebenstiefe
Erlebensorientierte Interaktion
Die erlebensorientierte Methode und Theorie
Literatur
Felt Sense
Persönliche Probleme und Schwierigkeiten im Leben sind niemals nur kognitiver Natur, niemals nur eine Frage von Interpretation und Verstehen. Es gibt immer eine affektive, emotionale, gefühlte, konkrete, erlebte Schwierigkeit. Die Gedanken und Interpretationen einer Person entstehen aus und sind beeinflußt von ihrer gefühlsgeprägten Art, in der jeweiligen Situation zu leben.
Die Antworten* einer helfenden Person sollten deshalb zumindest manchmal eine affektive, eine erlebte Wirkung haben[1], damit sie überhaupt zu einer Problemlösung führen können. Die Frage: "Was ist die beste Form, therapeutisch zu antworten?" mündet in die Frage: "Wie kann die Antwort eines Therapeuten eine konkrete, spürbare Wirkung in der Person hervorrufen?"
Die klientenzentrierte therapeutische Antwort wurde ursprünglich "Widerspiegeln des Gefühls" (reflection of feeling) genannt. Wenn man die weitere Entwicklung betrachtet (Rogers, 1958, 1961, 1963; Gendlin, 1955-66, Gendlin und Zimring, 1955; Butler, 1958) nennt man sie wahrscheinlich besser "erlebensorientierte Antwort".
"Widerspiegeln eines Gefühls" betonte das Gefühl, den Affekt, die konkrete Erfahrung, doch das Wort "Gefühl" bezieht sich auf sehr spezifische Emotionen wie Liebe, Haß, Freude, Ärger, Angst. Natürlich hat man manchmal so deutlich unterscheidbare Emotionen, meistens jedoch fühlt man nicht etwas so Klares. Statt dessen steht man einer komplizierten und undurchsichtigen Situation gegenüber. Rogers (1951) illustrierte das "Widerspiegeln der Haltung" (das bald darauf "Widerspiegeln der Gefühle" genannt wurde) anhand von Beispielen, wie: "Das macht dich hilflos". "Hilflos" ist keine wirkliche Emotion. Auf ähnliche Weise fühlt man sich häufig beispielsweise "verwirrt", "unbehaglich", "ärgerlich auf", "besorgt, daß" oder "voller Hoffnung auf, aber entmutigt, weil ..." Diese geläufigen Zustände sind weniger Emotionen als komplizierte Reaktionsweisen und Beschreibungen, wie wir uns selbst in einer Situation wahrnehmen.
Aus diesen Beispielen können wir drei Schlüsse ziehen:
1. Die erlebensorientierte Antwort bezieht sich häufig nicht auf klare Gefühle, sondern auf ein weitaus komplexeres Erleben. Was wir dabei erleben, kann sehr intensiv sein, obwohl wir vielleicht nicht genau wissen, was wir fühlen.
2. Was wir fühlen, ist kein inneres Objekt (ein "affektiver" Zustand, der nur in uns ist), sondern der Felt Sense zu einer umfassenden Situation - wie wir in dieser Situation sind, was wir hervorbringen, was wir wahrnehmen und womit wir uns konfrontiert fühlen.
3. Dieser Felt Sense bezieht sich auch darauf, wie wir die Situation interpretiert und aufgefaßt haben. Deshalb ist ein solcher Felt Sense nicht nur etwas Gefühltes, sondern auch etwas Kognitives. Vielleicht verwirrt uns, was er mit sich bringt, aber immer sind Aspekte der Interpretation, d.h. Denken, Lernen, Wahrnehmen und Verstehen in ihm impliziert.
Daraus folgt, daß das "Gefühl" einer Person, auf das wir reagieren, keine klar definierte Emotion ist, selten von der jeweiligen Situation zu trennen und nicht ohne implizite kognitive Erkenntnis ist. Wenn ein Therapeut sagt: "Du befürchtest, daß ...", bezieht sich dies auf ein Erleben der Person, das in seiner empfundenen Gesamtheit das Gefühl zu einer kognitiv interpretierten Situation einschließt.
Natürlich sind wir als TherapeutInnen nicht hauptsächlich mit den spezifischen gegenwärtigen Situationen des Klienten beschäftigt, sondern eher mit den in seiner Persönlichkeit liegenden Schwierigkeiten, die er in all seine Situationen mitbringt. Diese Schwierigkeiten sollten nicht so gesehen werden, als ob sie kleine Dinge im Inneren wären. Sie sind wirklich, bemerkbar und werden von ihm nur gefühlt, indem er in Situationen lebt (mit anderen oder allein in seinem Zimmer). Die erlebensorientierte Reaktion des Therapeuten zielt auf das konkrete Gefühl des Klienten, das immer situationsbedingte und kognitive Aspekte impliziert, d.h. die Art, wie er eine Situation herbeiführt und auffaßt, seine zu Strukturen erstarrten Erfahrungen, vergangene Erlebnisse, seine charakteristische Art, Situationen wahrzunehmen und zu kreieren.
Zu dem Zeitpunkt, wo man sich einer Situation gegenübersieht, hat man sie üblicherweise bereits herbeigeführt, inszeniert und erfaßt - auf der Basis seiner Emotionen, Erfahrungen, früheren Erlebnisse und natürlich der Schwierigkeiten, die in der eigenen Person liegen. Deshalb ist es richtig zu sagen, daß es nicht auf die spezielle Situation ankommt, sondern nur auf die Schwierigkeiten, die aus der Persönlichkeitsstruktur resultieren. Es wäre aber ein Fehler, Persönlichkeitschwierigkeiten als innerliche Ganzheiten zu betrachten, um auf diese dann zu reagieren, und dabei zu ignorieren, wie sie sich tatsächlich im individuellen Erleben manifestieren. Erfahrung beinhaltet immer komplexe Person-Situation-Zusammenhänge, die konkret gefühlt werden, keine in sich abgeschlossenen emotionalen Ganzheiten.
Obwohl all dies individuell gefühlt wird, ist es möglicherweise noch nie in Worte gefaßt und als Muster von allgemein anerkannter Bedeutung erkannt worden. Es geschieht häufig, daß man viele Facetten - alle auf einmal - sehr stark spürt, aber nur implizit[2]. Die erste Regel lautet: Wir beziehen uns auf den Felt Sense. (Dieser ist der Person zwar bewußt, aber auf gefühlte Weise und begrifflich vielleicht überhaupt nicht klar).
Den Felt Sense explizieren
Ein Klient sagt möglicherweise etwas wie: "Sie will nicht dort nach einer neuen Wohnung Ausschau halten, wo ich es ihr gesagt habe. Sie ging tatsächlich überall sonst hin, nur nicht dorthin, und nun werden wir da auch nicht wohnen." Diese beiden Sätze sind sehr klar. Das klientenzentrierte Widerspiegeln des Gefühls würde beinhalten, daß der Therapeut Ärger beim Klienten spürt ("Du bist ärgerlich, weil sie absichtlich unterlassen hat, das zu tun, was du wolltest", könnte ein Widerspiegeln eines solchen Gefühls sein).
Wir können immer annehmen, daß das Erleben eines Problems komplizierter ist und daß daher das gegenwärtige Gefühl weitaus mehr impliziert. Ja, hier herrscht Ärger, aber nicht nur Ärger. Ärger (oder jede andere Emotion) ist nicht ein inneres Ding, sondern eine Interaktionsweise. Wir sind niemals nur ärgerlich, sondern immer ärgerlich auf. Erleben ist ein interaktiver Prozeß (Gendlin, 1964). Die Situation, in der wir Ärger verspüren und die Menschen, auf die wir ärgerlich sind, implizieren viele spezifischere Aspekte. "Ärgerlich" ist nur ein kurz greifendes Wort, eine allgemeine, grobe Klassifizierung eines Gefühls.
In unserem Beispiel reagiert der Therapeut auf den Felt Sense und gebraucht ein Wort wie "ärgerlich, wütend, sauer". Es ist etwas ganz anderes, wenn der Therapeut sich mit seiner Reaktion auf einen Felt Sense bezieht, der weitaus komplexer ist. Egal wie klar und präzise das, was der Klient sagt, sein mag, wir müssen immer annehmen, daß es einen konkreten Felt Sense gibt und uns auf diesen beziehen. Da er erlebbar ist, kann der Klient direkt mit ihm in Beziehung treten, und der Felt Sense trägt implizit [3] viele weitere Aspekte und komplexe Reaktionen in sich. Wenn die Antwort des Therapeuten auf das implizite, komplexe Erleben zielt, ist es viel einfacher für den Klienten, bei seinem Erleben zu bleiben und nach dem zu suchen, um was es ihm wirklich geht. Bald sagt er vielleicht: "Und was mich wirklich wütend macht, ist, daß sie mich ignoriert. Ich merke jetzt, daß ich nicht so wütend darüber bin, daß wir nicht dort leben werden, wo ich wollte, sondern vielmehr über ihre Art, meine Wünsche zu ignorieren." Was auch immer die Therapeutin nun als nächstes sagt, sie sollte sich dessen bewußt sein, daß implizit mehr da ist. Sie kann damit rechnen, daß jetzt weitere Aspekte auftauchen, vielleicht das Bedürfnis, geliebt oder verstanden, statt ignoriert zu werden oder neue und alte Verletzungen. Möglicherweise zeigt sich auch nichts dergleichen, sondern vielmehr, daß der Klient meint, er habe vorschnell aufgegeben und angenommen, daß er seine Wünsche niemals durchsetzen könne. Wenn seine Frau nicht dort gesucht hat, wo er wollte, werden sie dort eben nicht leben. Vielleicht gibt er zu früh auf oder vielleicht versucht er erst gar nicht, seine Wünsche durchzusetzen, weil alles, wozu er jemanden zwingen muß, für ihn nicht als Liebe oder Verständnis zählt.
Die erlebensorientierten Reaktionen des Therapeuten lenken die Aufmerksamkeit des Klienten direkt auf seinen Felt Sense. Der Therapeut hilft lediglich dabei. Nur wenn der Klient seinen Felt Sense fokussiert, kann ein Shift stattfinden, und nur daraus können weitere Aspekte auftauchen[4]. Manche Menschen haben bereits, wenn sie in die Therapie kommen, die Fähigkeit, auf ihr Erleben zu fokussieren, (Gendlin, 1968), während der Therapeut mit anderen KlientInnen lange daran arbeiten und ihre Aufmerksamkeit immer wieder auf ihren konkreten Felt Sense lenken muß. Manchmal verhält der Klient sich so, als hätte er zu nichts als seinen Worten Zugang. Trotzdem muß der Therapeut davon ausgehen und sich vorstellen, daß der Klient einen direkten Felt Sense zu der ganzen Komplexität des Problems hat, und die Reaktionen des Therapeuten müssen sich auf ihn beziehen. Wenn nötig, kann der Therapeut für den Klienten mögliche allgemeine Richtungen, in die ihn seine weiteren Explikationen führen könnten, imaginieren, jedoch sind das nur Beispiele für das, was der Klient finden könnte, wenn er weiter bei seinem Felt Sense verweilt. Der Therapeut versucht das, indem er sich nur einen kleinen Schritt von dem, was der Klient sagt, entfernt. Bei all diesen therapeutischen Antworten geht es darum, den Klienten einzuladen, selbst zu schauen, was er findet, wenn er bei dem bleibt, was er konkret fühlt. Wenn der Klient allerdings schon auf seinen Felt Sense fokussiert, muß der Therapeut ihm folgen, indem er sich genau auf diesen bezieht - wenn auch manchmal etwas expliziter als der Klient.
Der Begriff "Focusing" klingt nach "Betrachten" eines gefühlten Sachverhaltes. In Wirklichkeit meint es jedoch einen Prozeß, in dem die Person und der Sachverhalt eins werden, und beide ändern sich, während der Focusing-Prozeß sich entfaltet. Man kann nicht bei einem Gefühl verweilen, ohne es anders zu fühlen als noch vor einigen Momenten. Etwas zu fokussieren bedeutet auch ein Weiterfühlen, das expliziert, was gefühlt wird.
Regel zwei: Wir versuchen, den Felt Sense zu explizieren, damit neue Aspekte sich aus ihm entfalten können.
Sensibilität: verschiedene Richtungen für einen erlebensmäßigen Fortschritt ausprobieren
Es ist bekannt, daß ein Felt Sense implizit komplex ist, jedoch üblicherweise heißt es, ein Therapeut müsse nur "sensibel" sein und mit "seinem dritten Ohr zuhören", damit er seinem Klienten helfen kann, sich all dieser Aspekte bewußt zu werden. Aber indem man einem Therapeuten sagt, er solle "sensibel" sein, ist noch nicht gesagt, wie das geht.
Jeder möchte sensibel sein, was aber, wenn er es nicht ist? Was kann man tun, um sensibel zu werden? Oder kommt die Sensibilität von selbst? Nein; ich werde sagen, wie man m. E. als Therapeut "sensibel" reagiert. Man orientiert sich am Erleben, was immer die Theorie sagen mag.
Zunächst sollten wir zugeben, daß wir oft mit unseren Annahmen über das, was der Klient tun oder sagen wird, falsch liegen. Es gibt oft Irrtümer, die einen Moment lang dauern und manchmal welche, die mehrere Therapiestunden über anhalten. Keine "röntgengleiche Sensibilität" ist am Werk. Auch liegt das Geheimnis nicht in brillantem dynamischen oder einsichtsvollen Denken. Das gibt uns für gewöhnlich viele Spuren, nicht nur eine. Wenn wir eine Spur sehr sanft ausprobieren, wird das, was dann auftaucht, uns ein fundierteres, ein anderes oder ein präziseres Verständnis ermöglichen. Wir können mehrere Spuren oder Annahmen ausprobieren, die auf verschiedenen Gedanken basieren. Diese Gedanken tauchen, während wir arbeiten, spontan und vorläufig in uns auf, gleichsam wie Entwürfe. Von daher ist es selten der Fall, daß wir eine eindeutige, sichere, röntgenmäßige Sensibilität haben, sei sie intuitiv oder dynamisch.
Da wir wissen, daß der konkrete Felt Sense eines Klienten immer komplex ist und implizit viele Aspekte in sich trägt, probieren wir dies oder das, und oft geschieht nichts - keine Wirkung im Erleben. Gelegentlich geschieht aber doch etwas: Dem Klienten wird es möglich, intensiver zu fühlen, oder das, was er fühlt, weiter oder klarer auszuformulieren. Er fühlt klarer, was er weiß.
Eine dritte Regel: Wir schlagen verschiedene Richtungen vor, um einen erlebensmäßigen Fortschritt zu ermöglichen. Das bedeutet, der Therapeut fördert das Explizieren des Klienten, indem er probeweise verschiedene Richtungen einschlägt, solange bis sich das Erleben des Klienten weiter entfaltet. Mit "weiter" meinen wir entweder neue relevante Aspekte oder ein klareres Gefühl.
Auf der Erlebensspur bleiben
Wenn der Therapeut verschiedene (oftmals falsche) Richtungen ausprobiert, muß er wissen, was zu tun ist, (a) wenn der Klient auf irgendeine wichtige Art reagiert und (b) wenn er keine Erlebensreaktion auf das Gesagte zeigt. Sensibilität ist keine magische Quelle für die richtige therapeutische Intervention, sondern eher Achtsamkeit gegenüber der darauf folgenden Reaktion des Klienten.
(a) Obwohl das, was die Intervention des Therapeuten in dem Klienten angerührt hat, vielleicht nicht das ist, was der Therapeut erwartet hat, wird er jetzt darauf eingehen. Das Geheimnis der Sensibilität liegt nicht darin, daß man die richtigen Dinge sagt, sondern darin, daß man sich dann auf die darauf folgende Klientenäußerung bezieht. Egal wie dumm oder falsch das ist, was der Therapeut sagt, er kann es sagen, wenn er dann auf die darauf folgende Reaktion des Klienten eingeht, Fragen zu ihr stellt und sie zu verstehen versucht.
(b) Sollte sich andererseits die Antwort des Therapeuten als bedeutungslos erweisen, muß der Therapeut wissen, wie er den Klienten wieder auf dessen eigene Erlebensspur zurückführt. Es ist wichtig, daß der Klient nicht denkt, er müsse etwas für ihn Bedeutungsloses diskutieren oder verfolgen, nur weil der Therapeut es angesprochen hat. Wenn zum Beispiel die Antwort meines Klienten ist: "Ja, das muß wahr sein ... äh ...", weiß ich, daß meine Reaktion nicht günstig war. Viele Menschen meinen, daß das, was sie schlußfolgern, wahr sein muß, auch wenn sie es nicht direkt fühlen. Das "äh" weist auch darauf hin, daß es nun von dem Gesagten aus nicht mehr weiter geht. Jetzt antworte ich: "Das klingt irgendwie richtig für dich, aber es ist doch nicht das, was du jetzt eigentlich fühlst." Also lade ich ihn erneut ein, bei dem zu bleiben, was er fühlt, damit er nicht an meiner unbrauchbaren Antwort hängenbleibt.
Die Antworten des Therapeuten verfolgen nicht den Zweck, richtig zu sein, sondern sie zielen darauf, das Erleben des Klienten fortzusetzen. Dies kann auf beide der genannten Weisen (a und b) geschehen.
Unsere vierte Regel lautet: Wir folgen der (gerade vor sich gehenden) Erlebensspur des Klienten.
Erlebensorientierte Bezugnahme: Unsere Antworten weisen auf den Felt Sense hin
Die einfache obige Beschreibung impliziert schon eine fünfte Regel. Unsere Antwort zielt immer auf den Felt Sense des Ganzen, den der Klient jetzt hat. Die Antwort kann falsch oder unzutreffend sein, aber das ist nicht so wichtig wie ihr Ziel. Die Reaktion eines Therapeuten zielt immer auf den Felt Sense des Klienten, den er zu dem, was er gesagt hat, unmittelbar spürt. Dieses Ziel macht sie zur "erlebensorientierten Antwort". Das bedeutet auch, daß nur die Art, wie sich das Erleben des Klienten weiter entfaltet, anzeigt, ob die Antwort passend war. Meine Antwort mag wahr, weise und akkurat sein, aber trotzdem nutzlos[5], wenn sie ihr Hauptziel verfehlt. Dieses ist, auf den Felt Sense zu weisen, der sich zu allem gebildet hat, mit dem der Klient sich befaßt.
Wir können immer einen spürbaren Felt Sense eines komplexeren "all das" annehmen (selbst wenn der Klient etwas sehr spezifisch ausdrückt) und uns vorstellen, uns auf ein größeres Ganzes zu beziehen. Dies tun wir, indem wir zum einen sehr genau verstehen, was der Klient sagt, denn ohne solch ein genaues Verstehen kann man nicht tiefer in den Felt Sense des Gesamtproblems eintauchen. Deshalb müssen wir sehr genau und spezifisch alles aufgreifen, was er sagt, so, wie er es meint. Wir nehmen jeden spezifischen Aspekt auf, den der Klient ausdrückt und stellen uns dabei vor, daß dieses Spezifische uns lediglich einen Aspekt des Problems verrät, das er nun beschreibt, während er implizit direkt die gesamte Komplexität fühlt.
Es ist nur möglich, "erlebensorientiert" zu reagieren, weil ein Felt Sense (ein konkret gefühltes "all das") so viele implizite Facetten enthalten kann, während das, was man sagt, sehr begrenzt ist. Der ganze dynamische Stoff, auf den eine Theorie hinweisen könnte, ist implizit da, in diesem unmittelbar gespürten Felt Sense, den eine Person hat, während sie diese begrenzten Dinge sagt; aber er ist gefühlt und nicht gewußt. Er wird auf unvollkommene, im Entstehen begriffene Weise gefühlt. Dies alles in Worten auszudrücken, hieße, es auch bewältigen zu müssen. Das Problem des Klienten ist, daß er gerade das nicht kann. Damit ihm (im Lauf der Zeit) die Differenzierung und der verbale und interaktive Ausdruck seines Felt Sense gelingt, braucht es einen Erlebensprozeß, der sich weiter entfaltet als bisher. Dieser kann das Problem lösen.
Wenn sich also unsere Antworten auf den Felt Sense des Klienten zum Problem beziehen, und wenn wir so exakt wie möglich antworten und explizit zurücksagen, was er ausgedrückt hat, helfen wir ihm, mehr zu fühlen und in der Folge weiteres wahrzunehmen. Während wir explizit auf das reagieren, was er jetzt konkret fühlt, wird es ihm möglich, mehr zu fühlen und folglich auch mehr auszudrücken[6].
Die fünfte Regel lautet: Antworten zielen (genau auf den Felt Sense, den der Klient jetzt erlebt). Die Antwort muß genau auf den Felt Sense zielen, den der Klient jetzt erlebt. Wir beziehen uns auf eben den Felt Sense, den er hat, während er sich bemüht, sich so genau und klar wie möglich auszudrücken.
Fortsetzen (carrying further)
Eine erlebensbezogene Antwort lenkt die Aufmerksamkeit des Klienten auf sein Erleben, wodurch sich dieses fortsetzt. Insofern ist eine der besten Reaktionsmöglichkeiten des Klienten auf das, was der Therapeut sagt, folgendes: "Nein, nein, überhaupt nicht, so ist es nicht, es ist eher ..." Oftmals ermöglicht mein Raten, wie "es ist", dem Klienten, genauer zu sagen, wie es wirklich ist. Und gerade das möchte ich ja, meine Antwort ist ja keine Tatsachenfeststellung, die versucht, möglichst richtig zu sein, sondern eine hinweisende Äußerung, die dem, was er fühlt, zu mehr Klarheit verhelfen will, damit es sich fortsetzen kann.
Wenn ein Mensch ein Problem hat, ist er immer teilweise verwirrt und festgefahren. Um zu klären, was nicht in Ordnung ist, muß er ein genaueres, d.h. ein sowohl tieferes als auch facettenreicheres Gefühl für seine Reaktionen und Situationen bekommen. Ohne das kann er überhaupt nichts "klären"! Nicht alles, was er jetzt sagt, lag schon vollständig in ihm bereit, bevor er es sagte. Worum es uns beim therapeutischen Antworten geht, ist keinesfalls, nur Fakten zu finden oder irgend etwas zu erklären. Wir suchen die Art Klärung, die mehr und weiter gehendes Leben und Fühlen mit sich bringt, als dem Klienten möglich war, solange er feststeckte oder litt.
Eine sechste Regel lautet: Wir versuchen, dafür zu sorgen, daß das Erleben sich fortsetzt. Explizieren bringt ein Erleben mit sich, das weiter geht, als es bisher möglich war.
Das "Fortsetzen" leitet die Therapeutin, nicht umgekehrt
Wir suchen nicht irgendein "mehr", sondern nur das "mehr", das löst oder klärt, was zuvor festgefahren, verwirrt oder unmöglich war. Wie können wir wissen, was das sein wird? Nochmals: nur durch das Erleben des Klienten. Deshalb müssen unsere Antworten sich von den Schritt für Schritt entstehenden Reaktionen des Klienten leiten lassen, nicht nur um herauszufinden, wann das, was wir sagen, gültig ist, sondern auch, um einen Weg zu eröffnen, den er betreten kann, also um eine therapeutische Richtung zu etablieren[7]. Dieser Weg wird durch die evident gefühlten, frischen Momente des Erlebens (und die entsprechenden neuen Deutungen und Erkenntnisse) gewiesen, die ihm vorher unmöglich waren.
Daraus entsteht die siebente Regel: Nur die Person selbst kennt ihre Fährte, wir lassen uns von ihrer Erlebensspur leiten.
Aber wie können unsere Reaktionen ihrem Erlebensprozeß folgen, wenn ich gleichzeitig gesagt habe, daß das, was wir suchen, noch gar nicht ganz da ist? Ist das nicht ein Widerspruch? Einerseits sage ich, daß nur das Erleben des Klienten den Therapeuten leiten kann und andererseits sage ich, daß echte Klärung zum Teil immer weiteres Erkennen und weiteres Erleben bedeutet.
Gibt es nicht tausenderlei Arten weiterer Erkenntnisse? Wie wählt man die Richtung? Die Antwort liegt darin, daß wir nicht irgendeine Art weiterer Erkenntnisse und weiteren Erlebens suchen, sondern nur den Weg, auf dem Schritt für Schritt erlebensorientierte Lösungen für genau das auftauchen, was sich vorher so festgefahren, verwirrt und unerträglich anfühlte.
Veränderung des Bezugspunkts (referent movement): der "Felt Shift"
Wir müssen jetzt genauer betrachten, woran wir merken, wenn ein Stück erlebensorientierter Lösung oder Klärung dessen auftaucht, was der Klient als Problem empfindet. Woran merken wir, ob sein Erleben sich fortsetzt?
Ist einfach jedes neue Erleben eine Fortsetzung? Nein. Was wir mit "Fortsetzung" meinen, bezieht sich nur auf das, worin der Klient zuvor festgefahren, blockiert, ratlos, verwirrt, gehemmt oder unfähig war, auf eine Weise weiterzugehen, die sich richtig, angemessen oder erträglich anfühlte.
Wenn das Erleben sich fortsetzt, stellt sich ein klares und eindeutiges Gefühl der Erleichterung ein; es fühlt sich entspannter, befreit und lebendig an. Ich nenne das "Veränderung des Bezugspunkts", denn man fühlt die Veränderung in der direkten Bezugnahme. Dies kann dann auftreten, wenn sich etwas gelöst oder entschieden hat, aber auch wenn ein Gefühl klarer wird oder neue Aspekte auftauchen.
Ein Mensch hat einen auf gewisse Weise gestörten, aber doch vage gespürten Felt Sense von dem, worüber er spricht. Oftmals erklärt er, beschreibt Begebenheiten, versteht ihren Ursprung, denkt sich aus, wie er gerne wäre, sagt viel Weises und Wahres - und doch ändert sich nichts konkret. Sein Felt Sense ist nach all dem Reden und der Anstrengung noch genauso wie vorher. Keine "Veränderung des Bezugspunkts" hat sich ereignet. Keine spürbare Wirkung hat sich eingestellt.
Im Gegensatz dazu ist es unmißverständlich anders, wenn auch nur das geringste Bißchen von Felt Shift oder "Veränderung des Bezugspunkts" stattgefunden hat.
Manchmal scheint es, als ob dies nur anzeige, daß das eben Gesagte wahr sei; aber während der Klient jetzt seinen Felt Sense weiter erforscht, ist alles ein wenig anders. Neue Aspekte tauchen auf. Vieles, was zuvor wichtig war, ist jetzt unbedeutend. Der kleine Felt Shift erweist sich nun als wirklicher Schritt. Der Klient bezieht sich wieder direkt auf einen Felt Sense des Gesamtproblems, über den er spricht, doch hat sich der Felt Sense nun ein wenig verändert.
Der neu aufgetauchte Aspekt scheint zunächst nichts zu lösen, ist vielleicht schlimmer als alles, was der Klient erwartet hat. Vielleicht sagt er: "Wie schrecklich. Nun weiß ich wirklich nicht, was ich tun soll." Aber wenn es sich um einen Aspekt handelt, der wirklich aus dem Felt Sense über seine Schwierigkeit herrührt, wenn es ein Aspekt ist, der wirklich aus seinem Erleben aufgetaucht ist, dann fühlt er den Felt Shift, eine erfahrbare Wirkung, die ich "Veränderung des Bezugspunkts" nenne (Gendlin, 1964). Nach einem Moment gefühlter Veränderung des Bezugspunkts ist für gewöhnlich alles ein wenig verändert, und neue Worte tauchen auf.
Unsere achte Regel ist: Nur Veränderung des Bezugspunkts ist Fortschritt. (Die Richtung des Prozesses wird durch den "Felt Shift" oder die "Veränderung des Bezugspunkts" des Klienten angezeigt.)
Der erlebensorientierte Gebrauch von Konzepten
Wir sind theoretisch davon ausgegangen (siehe auch Gendlin, 1962, 1964), daß das Gewahrwerden von etwas, zu dem es vorher keinen Zugang gab, immer mit einer Fortsetzung des Erlebens einhergeht. Wir sind weiterhin davon ausgegangen, daß jede negative Bedingung oder jedes Problem implizit die Richtung für dessen positive Lösung in sich trägt, selbst wenn diese Lösung kreiert werden muß und nicht nur "gefunden" werden kann. Deshalb muß ein Therapeut den möglichen Keimen positiver Aspekte innerhalb unangemessener, negativer Verhaltensmuster und Gefühle große Aufmerksamkeit widmen. Körperliches Erleben ist das Gefühl, lebendig zu sein, und als die Tiere, die wir sind, bleiben wir nur am Leben, weil unsere Tierkörper in lebenserhaltenden biologischen Systemen organisiert sind. Jedes menschliche Tier hat sich durch Kultur und individuelles Lernen ungeheuer weiterentwickelt, und diese Verfeinerungen helfen dem Körper, seine Organisation aufrechtzuerhalten (wenn es nicht so wäre, würden wir ziemlich bald auseinanderfallen). Im Rahmen unseres verfeinerten Erfahrungswissens über das, was wir tun können und was nicht, kann eine Situation sehr leicht zu einer "unmöglichen Situation" werden, in der wir keine Interpretations- oder Handlungsmöglichkeit finden, die sich lebenserhaltend anfühlt. Doch die Unmöglichkeit des Problems selbst entsteht aus positiven Tendenzen und positiven lebenserhaltenden Vermeidungen [8]. Sobald neue Interpretationsmöglichkeiten entdeckt werden, die dem Individuum nützen, werden diese klar markiert, denn sie erlauben ein klein bißchen Fortsetzung des Erlebens, und das wirkt immer befreiend und "fühlt sich gut an", selbst wenn man sich gleichzeitig furchtbar fühlt wegen dem, was jetzt, nach so einem kleinen Fortsetzungsschritt, auftaucht.
Selbstverständlich sind diese "Schritte" oder "Fortsetzungen" nicht logisch abzuleiten. Keines unserer theoretischen Konzepte ist spezifisch und komplex genug, um den Facetten, die ein Mensch erlebt, auch nur nahezukommen. Logik und Theorie stellen lediglich aus einigen Aspekten des Erlebens ein generelles Muster her. Nachdem eine erlebte Notlage sich aufgelöst hat, können wir immer erklären, was passiert ist. Wir können dies in wenigen knappen Sätzen tun oder in einem aufwendigen Roman. Aber im therapeutischen Lösungsprozeß sind unsere theoretischen Konzepte nur Werkzeuge, die auf den Erlebensprozeß hinweisen und dadurch den Zugang zu ihm und seine Fortsetzung unterstützen. Das besagt nicht, daß unsere Konzepte nutzlos oder unwichtig sind. Je genauer und besser wir sie anwenden können (welche auch immer wir benutzen), um so besser können wir auf das Erleben des Klienten hinweisen und seine Fortsetzung fördern.
Die neunte Regel ist: Therapie bedarf einer erlebensorientierten Verwendung von Konzepten. Während der Therapie sollten unsere Worte und Konzepte nicht nur tatsachenbezogen und logisch benutzt werden, sondern erlebensorientiert.
Vielleicht ist am wichtigsten, daß der erlebensorientierte Gebrauch von Konzepten nicht logische Schritte, sondern Erlebensschritte mit sich bringt. Der entscheidende Unterschied ist folgender: Wenn wir einen Begriff erlebensorientiert anwenden, wollen wir, daß er auf das zielt, was gespürt wird und auf jeden neuen Aspekt, der dann auftaucht. Sollten diese neuen Aspekte nicht zu unserem Konstrukt passen, sind wir nicht überrascht, denn wir haben es nur als hinweisendes Hilfsmittel benutzt. Die neuen Facetten erzeugen nun vielleicht ein anderes Konstrukt in uns, und zwar eins, das überhaupt nicht zum vorigen paßt. Wenn wir viel Zeit haben, können wir diese beiden Konstrukte vielleicht theoretisch miteinander in Einklang bringen, jedoch haben wir diese Zeit in der Therapiestunde gewöhnlich nicht. Sicherlich gibt es einen Zusammenhang zwischen beiden, und der kann auch ausgedrückt werden. Wir hatten vorher nicht völlig unrecht, denn was wir da gesagt oder gedacht haben, hat uns geholfen, dieses hier zu finden. Doch nun werden wir die Gesamtheit unseres theoretischen, diagnostischen und zwischenmenschlichen Wissens frisch nutzen, um diesen neuen Moment, diese neue Facette zu erfassen. Es kann sein, daß das, was wir als nächstes denken und sagen, dem von vorher ziemlich widerspricht. Der Erlebensschritt liegt zwischen dem alten Konzept und dem neuen. Es handelt sich nicht nur um eine logische Abfolge von dem einen zum anderen[9].
Es fällt TherapeutInnen manchmal schwer, diesen erlebensorientierten Gebrauch von Konzepten zu lernen. Dies wird einfacher, wenn man die Position tauscht: Auf welche Art, wünscht du dir, soll der Klient Konzepte verwenden? Möchtest du, daß er mit dir nur theoretisch, abstrakt begrifflich spricht und sich dabei eine faktische, logische Folgerung an die andere anschließt? Nein. Es geht nicht um theoretisches Interesse und logische Implikationen, vielmehr soll die Begrifflichkeit des Klienten auf sein affektives und interaktives Leben hinweisen und es ausdrücken. Gut, und genau auf diese Weise soll eine Person, die ihr dabei hilft, ihre Konzepte benutzen.
Es macht nichts, wenn der Klient über Politik oder Religion spricht oder über psychologische Theorien, solange das Gesagte auf sein eigenes Bestreben zielt, seine verstörten Gefühle und Reaktionen zu klären und zu überwinden. Wenn das der Bezugspunkt seiner Rede ist, wenn diese abstrakten Themen dem Ausdruck seiner emotionalen Bedeutungen dienen, kann ein solches Gespräch therapeutisch wirksam sein. Nimmt er aber diese Konzepte nur als das, was sie sind, ohne daß sie auf Aspekte seines eigenen Erlebens hinweisen, dann gibt es einen Stillstand in der Therapie und der Klient "intellektualisiert" bloß. Das gleiche gilt für den Therapeuten und seinen Gebrauch von Konzepten. Ganz gleich welcher Theorie diese entstammen, wenn sie erlebensbezogen benutzt werden, während der Klient eine Fortsetzung seines Erlebens sucht, können sie hilfreich sein. Natürlich bedeutet dies auch, daß die Konzepte von dem nächsten Aspekt, der auftaucht, geleitet und ihm entsprechend verändert werden müssen.
Erlebenstiefe
Tiefe bedeutet zum einen die "Tiefe" verallgemeinerter theoretischer Implikationen (dieser spreche ich jeglichen therapeutischen Nutzen ab). Wir legen sie auf die horizontale X-Achse eines Diagramms. Von einem gegebenen Punkt aus, an dem der Klient jetzt fühlt, können wir DiagnostikerInnen uns wegbewegen und viele andere Charakterzüge und Eigenarten des Klienten herleiten. Wenn er so ist, wie er jetzt gerade sagt, dann ist er wahrscheinlich auch dies und jenes andere. So können wir uns auf meinem Diagramm nach links und rechts bewegen und alles mögliche (durchaus Korrekte) über ihn sagen. Das lenkt den Klienten normalerweise davon ab, tiefer in das hineinzutauchen, was er gerade fühlt[10].
Es gibt aber noch eine andere Dimension, die mit mehr Recht "Tiefe" zu nennen ist. Diese legen wir auf der Y-Achse des Diagramms an. Sie geht tiefer in dem Punkt, an dem der Klient gerade ist und fühlt. In dieser Dimension kann er (und können wir) mehr und mehr und mehr sagen, aber immer genau (und immer genauer und genauer) das Gefühl ausdrücken, das er jetzt hat (während es sich dadurch ändert).
Was ist an der "Tiefe" auf der Y-Achse anders? Was bezieht sich auf das momentan gefühlte Erleben der Person? Woher weiß man, was wirklich in dem Punkt ist und was nicht? Die Antwort ist: Nur durch eine Reihe von Erlebensschritten. Erfahrungstiefe fördert vielleicht Aspekte zutage, die so ähnlich klingen, wie unsere theoretischen Ableitungen klingen würden oder auch solche, die wir niemals selbst hätten finden können. Wie auch immer, wir können nicht die konkreten Erlebensschritte für eine andere Person machen. Selbst wenn wir Glück haben, perfekt antworten und damit ihr Erleben fortsetzen - was zählt, ist nicht unsere Antwort, sondern ihr konkreter Schritt.
Die zehnte Regel lautet: "Tiefe" geht hinein (in das konkret vor sich gehende Erleben), nicht weg davon. Ich kann jetzt die Prinzipien des erlebensorientierten Antwortens, die ich bisher genannt habe, zusammenfassen:
- Wir beziehen uns auf den Felt Sense.
- Wir versuchen, den Felt Sense zu explizieren.
- Wir schlagen verschiedene Richtungen vor, um einen erlebensmäßigen Fortschritt zu ermöglichen.
- Wir folgen der Erlebensspur des Klienten.
- Antworten zielen (auf den Felt Sense).
- Wir versuchen, das Erleben fortzusetzen.
- Nur die Person selbst kennt ihre Fährte: Wir lassen uns von ihrer Erlebensspur leiten.
- Nur Veränderung des Bezugspunkts ist Fortschritt.
- Therapie bedarf einer erlebensorientierten Verwendung von Konzepten.
- Tiefe geht hinein (in das konkret vor sich gehende Erleben).
Erlebensorientierte Interaktion
Oft entsteht die beste therapeutische Intervention, wenn wir TherapeutInnen achtsam für unsere eigenen Gefühle und Reaktionen in der Situation sind. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Erstens, was eine Therapeutin sagt, ist nur begrenzt wirksam. Ihre persönliche Anwesenheit und ihre Resonanz, die aus dem augenblicklichen Beziehungsgeschehen entsteht, haben mehr Einfluß. Stellen wir uns vor, es wäre keine reale Therapeutin anwesend, sondern ihre Worte wären lediglich auf eine Wand projiziert, und die Klientin könnte sie da ablesen. Wäre die Therapie dann gleichermaßen effektiv? Nein, das wäre sie nicht (und selbst dann hätte die Klientin zu recht starke Gefühle gegenüber der unbekannten, aber realen Person, die auf sie reagiert und diese Aussagen macht). Die Präsenz einer anderen realen Person sorgt zu einem großen Teil für die Wirksamkeit therapeutischen Handelns. Das Erleben der Klientin ist immer auf diese andere reale Person bezogen, auch wenn sie verbal nur sich selbst zu explorieren scheint. Erleben findet im Beziehungsraum statt.
Bis zu einem gewissen Grad kann die Klientin auch ihr Erleben fortsetzen (carrying forward), wenn sie allein ist und sich selbst antwortet, über sich selbst nachdenkt oder innerlich mit sich spricht. Allein schon dadurch, dass sie ihre Gefühle in Worte faßt, klärt sie ihr Erleben und setzt es fort. Spricht sie laut mit sich selbst, kann sich die Wirkung noch steigern. Das laute Aussprechen verhindert, dass sie sich im vagen Umherwandern ihres Geistes verliert. Schreibt sie für sich selbst Dinge auf, ist es vielleicht noch effektiver. Spricht sie in einen Kassettenrecorder und hört sich das Band danach wieder an, wirkt es wiederum stärker. Die meisten Menschen, die ihre Stimme zum ersten Mal auf Band hören, sind peinlich berührt und erschrocken, denn sie nehmen Aspekte ihrer selbst wahr, die ihnen normalerweise verborgen bleiben. Wie ist es möglich, in der aufgenommenen Stimme etwas zu hören, was ihnen entgeht, wenn sie sprechen? Erleben ist grundsätzlich interaktiv. Die Stimme aus dem Kassettenrecorder zu hören, bedeutet, äußere Wirkungen von Aspekten unserer selbst wahrzunehmen, die für gewöhnlich kein Feedback erhalten. Ohne Feedback gibt es jedoch keinen interaktiven Prozeß (keine Kette von Reaktion, Wirkung, Reaktion), sondern nur den impliziten und schmerzhaft gehemmten Zustand; es gibt kein wirkliches Erleben. Also setzen Wirkungen nach außen, auf die Umgebung, unser Erleben fort. Jedoch ist dafür eine reale andere Person am wirkungsvollsten, denn sie reagiert nicht nur wie ein Kassettenrecorder, sondern ist eine andere Dimension, an der entlang die gehemmten Reaktionen der Klientin in ausgelebte Interaktionen mit einem Umfeld fortgesetzt werden können.
Die Antworten einer Therapeutin passen nur dann zu den oben genannten Umfeld-Interaktionen, wenn sie sich auf die Klientin bezieht. Als Therapeutin kann ich für gewöhnlich unterscheiden, welche meiner gefühlsmäßigen Reaktionen meinen persönlichen Problemen entstammen und daher unwichtig sind und welche zu unserer Interaktion hier gehören. Wenn mein Gefühl sich auf das bezieht, was wir gerade tun, muss ich aus ihm heraus reagieren.
Meine Reaktionen sind Teil unserer Interaktion. Ich bin es der Klientin schuldig, den Teil unserer Interaktion, der jetzt in mir entsteht, fortzusetzen. Wenn ich das nicht tue, bleiben wir beide im Hinblick auf diesen Punkt stecken. Natürlich bin ich dafür verantwortlich, wie ich reagiere. Das bedeutet, ich muss auf eine Art antworten, die ihr meine Reaktion ehrlich zurückgibt, sie sichtbar macht und muss so handeln, dass sie im Gegenzug auf das reagieren kann, was sie in mir ausgelöst hat.
Das heißt, in der Therapie werde ich nicht einfach "agieren", oder wenigstens werde ich nicht nur das tun, sondern ich werde auch mein eigenes Erleben fortsetzen, damit es sich voll entfalten kann, da es am Anfang häufig gehemmt ist. Ich werde nicht meine Abwehrreaktionen ausleben. Oder wenigstens (wenn ich merke, dass ich es tue) werde ich solange weitersprechen, bis das sichtbar wird, was wirklich in mir geschieht.
Von geringer Bedeutung ist, wie gut, weise, stark oder gesund die Therapeutin ist oder scheint. Wichtig ist, dass sie eine andere Person ist, die antwortet und jede Therapeutin kann darauf vertrauen, jederzeit dazu in der Lage zu sein. Dazu muss sie aber eine Person sein, deren wirkliche Reaktionen sichtbar sind, damit durch diese das Erleben der Klientin sich fortsetzen kann, damit die Klientin auf sie reagieren kann. Nur eine reale und bezogene Person kann so etwas bereitstellen. Keine nur verbale Weisheit kann das.
Die Therapeutin sollte so stabil sein, dass sie nicht "zerstört" werden kann. Dies läßt sich jedoch im Allgemeinen glaubhafter vermitteln, wenn sie ihre Reaktionen offen zeigt, als wenn sie sie versteckt. Spürt die Klientin, dass die Therapeutin etwas überspielt, kann sie nicht klar reagieren und weiß auch nicht, ob die Therapeutin es aushalten würde, wenn die Klientin auf sie reagiert. Durch ihre Offenheit zeigt die Therapeutin ihr auf einfache Weise, dass das Maß, in dem sie besorgt, ärgerlich, verletzt oder verstört ist, gut zu ertragen ist.
Die Therapeutin und ihre Reaktionen sollten allerdings nicht im Mittelpunkt stehen. Ich als Therapeut bin bereit, für eine kurze Zeit als Fokus zu dienen. Wir können meinen Reaktionen Aufmerksamkeit schenken und sie auflösen, wenn sie Teil dessen sind, was gemeinsam fortzusetzen wir fähig werden müssen. Ich glaube nicht, dass ich mich meiner "Gegenübertragung" außerhalb der Stunde widmen sollte, wenn die Klientin mich nicht sehen und nicht reagieren kann. Ich muss ihr alles in mir, was mit ihr zu tun haben könnte, zugänglich machen. Aber die Klientin bleibt im Mittelpunkt. Ich mache jede meiner Reaktionen der Erkundung zugänglich, wenn es nötig ist, und in dem Ausmaß, wie es unserem Zweck dient. Dieser Zweck ist, unsere Interaktion zu klären und fortzusetzen und nicht, sie durch irgendwelche neuen Komplikationen zu behindern.
Viele TherapeutInnen haben diesen Aspekt erlebensorientierter Interaktion angezweifelt. Wie unterscheidet sie sich für die Therapeutin von der üblichen Therapie? Meine Gefühle sollen zugänglich sein, damit die Klientin sich frei bewegen kann und weiterkommt. Wir werden kaum bei meiner Person steckenbleiben: Da meine Offenheit das Erleben der Klientin fortsetzt, wird sie sich vermutlich jetzt weiterbewegen, wenn ich sie nicht anhalte.
Die meisten KlientInnen brauchen über einen größeren Zeitraum (Monate) kontinuierliche und präzise therapeutische Antworten auf das, was sie fühlen, wahrnehmen und andeuten. Während solcher Zeiten dienen die Gefühle der Therapeutin dem Zweck, die gefühlten Bedeutungen der Klientin imaginativ zu erspüren. Persönlichere Reaktionen der Therapeutin werden in den meisten Fällen wahrscheinlich nur sehr selten mitgeteilt.
Was hier gesagt wurde, soll nicht TherapeutInnen ermutigen, sich selbst sehr oft und dramatisch darzustellen, wo doch das, was die Klientin braucht, Hilfe bei einer langsamen, sanften Entfaltung ihres Erlebensprozesses ist.
KlientInnen, die auf gar keiner Erlebensspur sind, brauchen vielleicht viel Selbstausdruck der Therapeutin (Gendlin, 1962), damit eine erlebensorientierte Interaktion überhaupt beginnen kann. Ist andererseits die Klientin im Erlebensprozeß, den Felt Sense zu ihren Problemen zu differenzieren und fortzusetzen, dann ist es am besten, wenn die Therapeutin sie so wenig wie möglich unterbricht. Dann ist es für die Therapeutin gewöhnlich am günstigsten, sanft und präzise zu begleiten, jede Windung und jeden Hauptaspekt zu verstehen und nichts hinzuzufügen, was die Klientin aus ihrer Spur und sie auf andere, abgelegenere Gedanken bringen könnte.
Die Therapeutin widmet ihren eigenen eher ungemütlichen Reaktionen (sich unangenehm oder peinlich berührt, ungeduldig oder auf andere Art unbehaglich zu fühlen) besondere Aufmerksamkeit. Fast immer wird sie diese Reaktionen erst in sich entdecken, nachdem sie sie schon überspielt oder unterdrückt und versucht hat, mit ihnen zurechtzukommen oder ihnen auszuweichen. Es ist natürlich, dass wir dazu neigen, solche Reaktionen zu "kontrollieren", und für gewöhnlich sind sie so geringfügig, dass die Kontrolle leicht möglich ist. Trotz allem enthalten sie wichtige Informationen über das, was gerade in der Interaktion geschieht.
Es ist natürlich, wenn die Therapeutin sich selbst ein bißchen inkompetent oder unangemessen fühlt, sobald sie solche Gefühle in sich bemerkt. Sicherlich berühren solche Reaktionen häufig das, was in ihr inkompetent und unangemessen ist, und kein Mensch lebt ohne solche Aspekte. Wenn wir jedoch nur das wahrnehmen, übersehen wir einen Kernaspekt der Psychotherapie: Ist die Klientin ein schwieriger Mensch, kann sie nicht umhin, auch in einer Person, die ihr nah ist, Schwierigkeiten hervorzurufen. Sie kann nicht all ihre Probleme für sich behalten, während eine enge Interaktion mit der Therapeutin stattfindet. Die Therapeutin wird dabei zwangsläufig ihre eigene Version der Schwierigkeiten, Verdrehungen und Hemmnisse erleben, die in der Interaktion auftreten. Und nur wenn diese auftauchen, kann sich die Interaktion über sie hinausbewegen und therapeutisch wirksam werden.[11]
Somit sind Gefühle des Unbehagens, des Steckenbleibens, der Peinlichkeit, des Manipuliertwerdens, der Kränkung usw. günstige Gelegenheiten, die Beziehung therapeutisch werden zu lassen. Eine solche Wirkung kann nicht eintreten, wenn die Therapeutin nur weiß, wie sie diese Gefühle in sich "kontrollieren" kann (z.B. sie gewaltsam unterdrückt). Natürlich kann sie sie kontrollieren, denn sie sind für gewöhnlich nicht besonders stark. Vielmehr muss sie sich eher besonders anstrengen, um sie in sich wahrzunehmen. Natürlich muss sie die Kontrolle über solche Gefühle bewahren (und kann dies für gewöhnlich auch leicht), um nicht aufgelöst oder übermäßig verstört zu werden. Und doch muss sie sie auch als ihr wertvolles konkretes Gespür für die sich gerade abspielende Schwierigkeit sehen, für die jetzt aufgetretene Verengung in der Interaktion und für den Erlebensprozeß der Klientin.
Erst viel später können Therapeutin und Klientin klar sehen, um was es genau ging. Man kann nicht erwarten, dass man die Verengung erkennt, solange man drinsteckt. Wie schon gesagt, nur das, was man vollständig erlebt, kann man klar erkennen, und deshalb muss das Erleben die Verengung, die eine Schwierigkeit oder ein Problem ausmacht, überschreiten. Aus diesem Grund kann sich eine Therapeutin nicht einfach auf ihrem Wissen ausruhen. Sie muss auch bereit sein, Gefühle der Verwirrung und Schmerzen auszuhalten, muss zulassen, aus der Bahn geworfen oder in eine Ecke gedrängt zu werden, aus der es keinen guten, weisen oder kompetenten Ausweg gibt. Nur wenn sie offene und transparente Formen entwickelt, ihre Interaktion mit der Klientin in dieser Hinsicht fortzusetzen, setzt sie den Erlebensprozeß der Klientin fort.
Wenn die Therapeutin nicht sichtbarer, weniger verletzt und offener ist als die meisten anderen Personen im Leben der Klientin, und sie der Klientin nicht erlauben kann, das zu sehen, was sie in ihr angerührt hat, dann wird die Klientin nicht in der Lage sein, ihr Erleben fortzusetzen und anderes als vorher zu erleben. Viele der interaktiven Verhaltensmuster der Klientin sind gestört, selbstvernichtend und haben eine negative Wirkung auf andere. Deshalb konstelliert die Klientin schwierige Situationen. Wenn die Therapeutin nun selbst Teil einer solchen Situation wird (was bisweilen geschieht), kann sie nur hilfreich sein, wenn ihre Reaktionen offener sind als die der Menschen im gewohnten Umfeld der Klientin.
Nur selten braucht die Therapeutin solche Gefühle als "nur meine eigenen" zu kommentieren. Wenn sie sie in sich wahrnimmt, kann sie sich fragen: "Warum ...?". Sehr schnell wird eine Antwort in ihr entstehen, wenn sie sich ihrem Felt Sense zuwendet und ihn fortsetzt. Dann kann sie direkt und klar auf den Aspekt der Interaktion reagieren, der dieses Gefühl in ihr ausgelöst hat. Der schwierige Teil ist wahrzunehmen, dass man sich unbehaglich fühlt. Hat man dies erst einmal bemerkt, drückt es sich für gewöhnlich wie von selbst aus.
Die Schwierigkeit der Klientin ist normalerweise nicht das zentrale persönliche Problem der Therapeutin, und deshalb ist diese viel eher als die Klientin in der Lage, ihr Erleben fortzusetzen. Somit kann die Therapeutin auf eine Art reagieren, die sich über das Hemmnis hinausbewegt. Wenn es der Therapeutin nicht gestattet wäre, ihre eigenen momentan schwierigen Gefühle auf ungefähr diese Weise zu nutzen, könnte sie der Klientin auch nicht ihren Hauptvorteil, nämlich ihre größere Kraft und ihre angemessenere Umgangsweise zur Verfügung stellen. Dieser Vorteil liegt genau darin, dass die Therapeutin vermutlich ihren Felt Sense über das, was nicht im Lot ist, fortsetzen kann, während es der Klientin momentan noch nicht möglich ist.
Normalerweise wendet man sich von solchen Gefühlen ab und ignoriert sie. Ich habe allmählich gelernt, mich meinem Erleben von Peinlichkeit, Steckengebliebensein, Verwirrung oder Unehrlichkeit zuzuwenden. "Ihm zuwenden" bedeutet für mich, dass ich es nicht einfach so sein lasse, wie ich es erlebe, sondern ich mache es zu etwas, das ich mir anschaue, etwas, von dem ich Informationen über diesen Moment erhalten kann. Dadurch setze ich es zunächst gedanklich und gefühlsmäßig fort, bevor ich aus ihm heraus einen Response* gebe.
Die Therapeutin ist achtsam für ihre Reaktionen und expliziert sie innerlich, bevor sie sie mitteilt. Ich gebe normalerweise nicht Reaktionen Ausdruck, die noch völlig unklar sind. (Das tue ich nur, wenn sie trotz Bemühen nicht klarer werden, und ich doch das Gefühl habe, dass sie bedeutungsvoll sind. Dann sage ich etwas, auch wenn ich verwirrt bin.) Ich weiß vielleicht nicht genau, was und warum, vor allem, wie die Klientin diese Reaktion in mir ausgelöst hat - oder ob sie es überhaupt getan hat. Aber ich kann mir selbst gegenüber meistens meine Gefühle klären, und das befähigt mich, sie klar und schlicht in wenigen Worten auszudrücken. Für gewöhnlich kann ich einfach mitteilen, auf welches gegenwärtige Ereignis ich mich beziehe.
Verhindert eine solche Selbstzuwendung der Therapeutin die Aufmerksamkeit gegenüber der Klientin? Keinesfalls. Hunderterlei schwirrt durch unsere Köpfe. Nur mit Anstrengung können wir alles unterdrücken, so dass wir nicht merken, was in uns vorgeht. Es ist wahr, dass meine Aufmerksamkeit gegenüber der Klientin, dem, was sie sagt und tut, Priorität hat, doch bleibt mir noch genug Raum, meine eigenen Reaktionen wahrzunehmen. Solange sie nicht wichtig sind, gehen sie einfach vorbei; aber wenn sie wichtig scheinen, muss ich sie bemerken und sie fortsetzen. Letztendlich werde ich mich vielleicht entscheiden, ihnen Ausdruck zu geben. Meine Entscheidung hängt davon ab, ob ich in dem Moment glaube, dass sie zur Interaktion gehören, d.h., die Klientin sie braucht. Wenn sie sie braucht, um klarer zu sehen, worum es geht und was sie tut, dann muss ich irgendwie aus ihnen heraus einen Response geben, damit ihr Erleben sich mit mir weiter vervollständigt als mit anderen.
Was die Klientin in mir berührt, ist immer ein Teil von mir. (In anderen Menschen könnte sie andere Reaktionen auslösen.) Aber meine Reaktionen sind auch zum Teil Funktionen der Klientin und ihrer Art, Situationen und Interaktionen zu kreieren. Was auch immer von mir dabei enthüllt wird, ich muss sicherstellen, dass sie darauf reagieren kann und ihr Erleben sich mit mir weiter fortsetzt als mit anderen.
Das unangemessene Verhalten der Klientin mag in den meisten Menschen Ablehnung hervorrufen (und hat gerade, sagen wir, in der Therapeutin unbehagliche Gefühle ausgelöst). Aber die bloße Tatsache, dass ein Problem der Persönlichkeitsstruktur im Spiel ist, bedeutet, dass positive, lebenserhaltende Tendenzen in diesem Muster durchkreuzt werden. Das Verhaltensmuster ist negativ. Aber hier, in dieser Interaktion ist es das Ziel der Therapeutin, den positiven Tendenzen zu helfen, die Oberhand zu gewinnen. Die Person sucht den Kontakt zu anderen, aber vielleicht auf so ungünstige Weise, dass sie sich nur Zurückweisung einhandelt. (Hier aber, in der Therapie wird sie eine andere Person erreichen.) Die Klientin bemüht sich, sich ausdrücken und klingt vielleicht unecht. (Hier wird der Response der Therapeutin zu sichern versuchen, dass es der Klientin dennoch gelungen ist, sich authentisch auszudrücken.) Die Klientin bemüht sich um Selbstbehauptung, aber das resultierende Verhalten ist vielleicht nur passiver Groll. (Hier greifen wir die Selbstbehauptung als solche auf, damit sie sich weiterentwickeln und direkter herauskommen kann.) Es gibt immer eine positive Tendenz, die wir aus dem negativen Verhaltensmuster "herauslesen" können. So ein Herauslesen ist keine Polyanna*-Erfindung von uns. Es ist eher so, dass ein Problem entsteht, wenn etwas Wichtiges schon im ersten Aufkeimen eine Niederlage erleidet. Wäre dies anders, gäbe es kein Unbehagen, keine Angst und keine Spannung.
Was immer in dem gewohnheitsmäßigen Verhalten und interaktionellen Mustern der Klientin eine Niederlage erleidet, darf in der Interaktion mit der Therapeutin nicht unterliegen. Es muss statt dessen über die gewöhnlichen selbstzerstörerischen Muster hinaus fortgesetzt werden. Hier soll erfolgreich sein, was überall sonst versagt. Dies gilt nur für die interaktiven Verhaltensmuster, die die Therapeutin betreffen. Für gewöhnlich wird die Therapeutin helfen, alles, was die Klientin fühlt und was sie beschäftigt, auszudrücken, ob gut oder schlecht. Sie muss helfen, viele schlechte, negative, zerstörerische, hoffnungslose, feindselige und kranke Facetten, die die Klientin fühlt und auf die sie sich bezieht, zu benennen und auszudrücken. Keine positive, beschwichtigende, weißwäscherische Haltung kann helfen. Was schlecht ist, muss auch als so schlecht ausgedrückt werden, wie es in dem Moment ist oder scheint.
Anders ist es, wenn die Therapeutin es auf sich nimmt, mit ihren eigenen verstörten oder ärgerlichen Gefühlen zu dem, was die Klientin ihr antut, einen Response zu geben. Wenn die Therapeutin ihre eigene negativ erlebte Resonanz benutzt und sichtbarer werden läßt, ist es keinesfalls genug, wenn die Klientin lediglich merkt, was sie getan hat oder wie negativ sie sich verhält. Wie soll die Klientin das mit sich allein verändern? Selbst wenn sie es jetzt wahrnimmt, kann sie es nicht verändern. Es ist eine charakteristische Art von ihr, sich in Interaktionen zu verhalten, und die kann sich normalerweise nur in einem weiteren und anderen konkreten Interaktionsprozeß ändern. Wenn dieser neue, andere Interaktionsprozeß nicht hier und jetzt stattfindet, wo und wann sonst?
Deshalb muss der Response der Therapeutin zuerst und vor allem auf die positive Tendenz abzielen, die aus dem negativen Muster heraus fortgesetzt werden muss. Diese positive Tendenz ist aber vielleicht nicht sichtbar. Die Therapeutin muss sie möglicherweise imaginieren, dann einen Response dazu geben, dann darauf warten, die ziemlich andere, tatsächliche positive Tendenz zu hören, die dann konkret auftaucht.
Zum Beispiel: Ich werde von meiner Klientin gedrängt, sie in einer Unternehmung zu unterstützen, von der ich weiß, dass ich mich nicht ehrlich an ihr beteiligen kann. Ich mag es nicht, wie sie mich drängt. Zuerst und vor allen Dingen muss ich aufgreifen, wie sie sich selbst zu helfen versucht und dabei die konstruktiven Teil ihres Plans fortsetzen. Wenn ich so reagiere, erklärt sie vielleicht, dass sie das gerade nicht tut. Sie will nur mit jemandem gleichziehen, sich einmal behaupten und nicht immer unterliegen. O.k., ich habe nicht richtig phantasiert, was ihr positiver Impuls war, aber jetzt zeigt sich ein bißchen davon konkret. Ich sage: " Wir sind jetzt sicherlich weit genug gekommen, dass du nun von mir erwarten könntest, dass ich dir auf diese Art helfe. Wir werden Verbündete." Vielleicht erklärt sie jetzt, dass es darum nicht gehe. Vielmehr will sie wissen, ob ich jemals etwas anderes für sie tun werde als reden. Das ist jetzt der wirkliche Bezug zu mir, auf den ich zu reagieren hoffte. Ich habe ihn mir falsch vorgestellt. In Wirklichkeit grollt sie mir, ist ärgerlich und herausfordernd. O.k., darauf kann ich reagieren: "Du bist also sauer auf mich. Ich habe nichts für dich getan? Ich glaube, meine Gefühle für dich sind ziemlich stark. Du denkst, ich habe es leicht; ich sitze nur da und rede. Mein Leben ist einfach. Es stimmt schon, dass du das meiste allein ertragen musst. Und jetzt forderst du mich heraus, da echt miteinzusteigen." Ihre Reaktionen, während ich spreche, werden zeigen, welcher Aspekt des Gesagten anfängt, irgend etwas fortzusetzen.
Das therapeutische Bestreben ist immer, die beginnenden positiven interaktiven Tendenzen zu vervollständigen, damit sie sich durchsetzen können und nicht in der selbstzerstörerischen Form steckenbleiben, in der sie zunächst auftauchen. Im Zusammenhang mit diesem immer positiven Fortsetzungsprozeß kann und sollte die Therapeutin ihre eigenen tatsächlichen Reaktionen lautwerden lassen. Auch kann und sollte sie (beispielsweise) sagen, dass sie sich bedrängt fühlt, eingeengt, unter Druck gesetzt und dass sie das nicht mag - dass dies den Impuls weckt, sie, die Klientin, wegzustoßen. Sie kann nicht nur so reagieren wie die meisten anderen Leute. Das hat bisher auch nicht geholfen.
Der positive Interaktionsprozeß muss zuerst kommen, aber in seinem Verlauf kann die Therapeutin (zum Beispiel) unmittelbar ihr Gefühl, bedrängt zu werden, ausdrücken, sogar ohne vorher nach einem positiven Response zu suchen. Aber auch dann wird der Tenor dieser Selbstmitteilung sein: "Ich fühle mich von dir bedrängt, und ich merke, dass ich dich am liebsten wegstoßen möchte, aber weder fühle ich das normalerweise dir gegenüber, noch möchte ich so fühlen. Also müssen wir etwas tun, um das zu klären, es aufzulösen, denn so sind wir beide nicht wirklich."
Weil die Einzelheiten dessen, was ich hier beschrieben habe, so schwierig auszudrücken sind, ist dieser Aspekt der Psychotherapie einer der am wenigsten verstandenen. Auf allgemeine Weise wird viel über die "Konfrontation" der Patientin mit den wirklichen Gefühlen der Therapeutin diskutiert; aber wenn man das so machen würde, wie es für gewöhnlich beschrieben wird, würde man nicht anders auf die Patientin reagieren, als es die meisten Menschen in ihrer Umgebung tun. Ihr Mann und ihre Freundin sagen ihr oft genug, was mit ihr nicht stimmt und was ihr Verhalten in ihnen auslöst. Sie kann die Konfrontation der Therapeutin nicht deshalb ertragen, weil sie sich auf allgemeine Weise des Respekts der Therapeutin für sie sicher fühlt, sondern weil mit der Therapeutin dieses spezifische negative Muster hin zu einer positiven, lebenserhaltenden, erfahrungsbezogenen Vervollständigung fortgesetzt wird, die bisher unterbrochen, gestört und nur implizit vorhanden war.
Die erlebensorientierte Methode und Theorie
In den beiden vorangegangenen Kapiteln* habe ich zwei Aspekte des erlebensorientierten Antwortens vorgestellt: 1. Die Bemühungen der Therapeutin, sich auf den Felt Sense der Klientin zu beziehen und damit deren Erleben fortzusetzen, und 2. Die Bemühungen der Therapeutin, einen ehrlichen Response zu dem interaktiven Verhalten der Klientin zu geben. Das letztere dient auch dazu, das Erleben der Klientin fortzusetzen. In welcher Beziehung stehen denn nun diese beiden Aspekte von Psychotherapie?
Zunächst können wir feststellen, dass in beiden die klientenzentrierte Psychotherapie sich erlebensorientiert entwickelt hat. Während früher ein eher formaler Schwerpunkt auf den von der Klientin ausgedrückten Bedeutungen lag, bemüht sich die Therapeutin jetzt, auf das gefühlte, noch implizite Erleben zu antworten. Die ausgedrückte Bedeutung wird lediglich als eine explizite Facette betrachtet. (Aber da das früher nicht klar gesagt wurde, war jenes immer das Ziel der klientenzentrierten Therapeutin.) Analog war das interaktive Verhalten der Therapeutin auf die relativ formale Rolle, nur die Gefühle der Klientin zu "reflektieren", beschränkt. Die Therapeutin lehnte es ab, von ihrer eigenen Person her zu reagieren, manchmal bis zu völliger Verzweiflung und Verärgerung auf seiten der Klientin. (Aber nochmals: so ein bloßes Rollenspiel war niemals Rogers' Absicht oder Praxis. Es ist nicht klar ausgesprochen worden, aber eigentlich sollte die Therapeutin ihr echtes Gefühlsleben zur Verfügung stellen, um die Gefühle der Klientin zu erspüren.) Trotz dieser zugrundeliegenden Absicht wurde häufig auf hölzerne Art wiederholt, was die KlientInnen sagten, und offene Interaktion wurde künstlich verweigert.
Heutzutage steht das erlebensorientierte Antworten im Vordergrund, sowohl hinsichtlich dessen, worauf wir uns bei der Klientin beziehen wollen, als auch was das angeht, was wir von uns selbst in der Interaktion ausdrücken und zeigen. Die Experiencing-Theorie (Gendlin 1962a, 1964, 1966a, 1966b, 1968) entwickelt eine Denkmethode, die uns in die Lage versetzt, das, was konkret im Erleben geschieht, zu differenzieren und zu beschreiben.
Wie kommt es, dass unterschiedliche Therapieschulen so ähnlich aussehen, wenn man sie vom Erleben her untersucht? Es kommt daher, dass wir uns dann anschauen, was wirklich, konkret in der Psychotherapie passiert, wenn sie funktioniert. Was sich dann ereignet, ist nicht immer in jeder Schule identisch, aber im großen Ganzen wohl. Es gibt nur ziemlich wenige konkrete Prozesse, die therapeutisch sind, während es unendliche Möglichkeiten gibt, sie begrifflich zu fassen. Deshalb werden die Ähnlichkeiten der verschiedenen Richtungen sichtbar, wenn man sie vom Erleben aus neu beschreibt. [12]
Die erlebensorientierte Theorie ermöglicht die Differenzierung der konkreten Therapieprozesse. Statt sie mit einem beliebigen Begriff aus unserer Theorie zu belegen (beispielsweise "durcharbeiten" oder "Selbstaktualisierung" oder "emotionales Verdauen"), können und müssen wir viel genauer und mit viel mehr Schritten und Begriffen bestimmen, was mit uns und der Klientin geschieht. Dann können wir zuversichtlich sein, eine Begrifflichkeit zu entwickeln, die uns erlaubt, den therapeutischen Prozeß weiter auszuformulieren, uns über seine Praxis zu verständigen, damit wir neue TherapeutInnen besser ausbilden können, und spezifische beobachtbare Variablen für eine Forschung zu bestimmen, die sowohl wiederholbar als auch bedeutungsvoll ist.
Die Tatsache, dass soviel von dem, was uns wirklich wichtig ist, sich bezogen auf die verschiedenen Richtungen als identisch herausstellt, bedeutet nicht, dass wir uns in einem bequemen Relativismus einrichten können, in dem wir alle unklar und verschieden sprechen, aber darauf vertrauen, dass wir dasselbe meinen. Vielmehr bedeutet es, dass die früheren Meinungsverschiedenheiten transformiert worden sind und eine neue erlebensorientierte theoretische Methode jene neuen Möglichkeiten eröffnet, die wir uns gewünscht haben.
Literatur:
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Rogers, C.R., Toward a science of the person. In T.W. Wann (Ed.), Behaviorism and phenomenology. Chicago: University of Chicago Press, 1964.
* Anm. d. Übers. : Der von Gendlin benutzte Ausdruck "response" wird in den meisten Fällen mit "Antwort" übersetzt, manchmal auch mit "Reaktion".
[1] In diesen Fußnoten werde ich die Beziehungen zwischen Psychoanalyse und klientenzentrierter bzw. erlebensorientierter (experiential) Psychotherapie kommentieren. Meiner Ansicht nach sind diese beiden Formen therapeutischen Handelns da, wo sie effektiv sind und entsprechend den Anweisungen der jeweils besten Praktiker durchgeführt werden, überaus ähnlich. Jedoch ist die Art, in der die optimale Antwort in den beiden Schulen begrifflich gefaßt wird, sehr unterschiedlich, und daher sind auch die charakteristischen Formen des Mißverstehens verschieden und führen in unterschiedliche Fallen.
Eine "erlebensbezogene Wirkung" ist auch das Ziel guter psychoanalytischer Deutungen. Fenichel (1945) sagt: "Wenn der Analytiker eine Deutung gibt, ist er bestrebt, in das dynamische Kräftespiel einzugreifen, das Gleichgewicht zu verändern ... Das Maß, in dem diese Veränderung wirklich stattfindet, ist das Kriterium für die Gültigkeit einer Deutung. Eine gültige Deutung führt zu einer dynamischen Veränderung ..." Also muß eine Deutung nicht nur korrekt sein, sondern muß eine dynamische Veränderung hervorbringen.
In meinem Text verwende ich eine erlebensorientierte Terminologie, und ich nenne das erwünschte Ereignis (das m.E. auch Fenichel meint) eine "erlebensbezogene Wirkung". Dies ist eine Wirkung, die die Person konkret spürt.
[2] Manche TherapeutInnen mögen darauf bestehen, daß die Realitäten, mit denen sie arbeiten, dynamische Ganzheiten sind. Sie betrachten die Komplexität des Erlebens einer Person lediglich als eine übergeordnete Struktur. Andere, ich zum Beispiel, könnten das Gegenteil behaupten: Die Psychodynamik ist nur unsere (häufig ausgezeichnete) Verallgemeinerung dessen, was in Wirklichkeit nur als spezifische Komplexität des Erlebens existiert.
Diese Streitfrage muß, was die Praxis betrifft, nicht unbedingt geklärt werden; denn wie auch immer unsere Sichtweise ist, es bleibt die Tatsache, daß wir dynamisches Wissen verwenden, um uns für die Person zu sensibilisieren und sie zu verstehen, während wir mit ihr das Problem in der konkreten erlebensorientierten Weise "durcharbeiten" müssen - in der einzigen Weise, in der sie fühlen und mit der sie arbeiten kann.
Vielleicht ist der einzige wirkliche Unterschied der, daß Psychoanalytiker es als wichtig erachten, dem Patienten zuerst das Allgemeine nahezubringen, damit er dann nach seiner eigenen Version seines konkreten Erlebens suchen kann. Im Gegensatz dazu betrachten erlebensorientierte TherapeutInnen dies als "Intellektualisieren", das die Person von der Spur ihres Erlebensfokus, der das einzig Wertvolle ist, wegbringt. Die Person kann ihre eigenen Verallgemeinerungen unmittelbar aus ihrem Erlebensprozeß heraus erzeugen. Diese sind individueller und passen besser zu ihr.
[3] Was ich "implizit" nenne, fassen PsychoanalytikerInnen als "verdrängt" oder "unbewußt", doch sie würden hinzufügen, daß erlebte Angst und komplexes Unbehagen anzeigen, daß das Verdrängte nah an der Oberfläche ist und im Begriff aufzutauchen. Nur solches "unbewußtes" Material, das nah daran ist, "ins Bewußtsein zu steigen", kann wirksam gedeutet werden. Fenichel sagt: "Deuten heißt, etwas Unbewußtem zu helfen, bewußt zu werden, indem man es in dem Moment benennt, wenn es darum kämpft durchzubrechen. Deshalb können Deutungen nur an einem bestimmten Punkt gegeben werden, nämlich da, wo das Interesse des Patienten im Augenblick zentriert ist." (a.a.O., S. 25)
In vielfacher Hinsicht unterscheidet sich die psychoanalytische Theorie des Unbewußten von der klientenzentrierten Theorie, aber dieses Unbewußte, auf das sich eine wirksame Deutung bezieht, ist genau das, was ich "impliziten Felt Sense" nenne.
Insofern sind klientenzentriertes Widerspiegeln und psychoanalytische Deutung sich recht ähnlich, wenn sie wirksam durchgeführt werden. Wenn sie ungeschickt gehandhabt werden, unterscheiden sie sich allerdings: Die schlechte Deutung neigt dazu, den Patienten ins Intellektualisieren und weg von seinem konkreten Interesse zu führen, während schlechtes Widerspiegeln dazu tendiert, zu wiederholen (nachzuplappern), was der Klient gesagt hat.
[4] Die "freie Assoziation" der Psychoanalyse kann so ähnlich sein wie das oben Gesagte, ist es aber nicht immer. In der psychoanalytischen Praxis kommen zwei Anwendungsformen der freien Assoziation vor: Im einen Fall vollzieht sie sich so, daß der Patient frei assoziiert, bis der Analytiker etwas bemerkt, was er deuten kann. Dann deutet er - oft ohne Wirkung. Hier gibt es wenig, was das Erleben des Patienten anspricht. Das, was gedeutet wird, existiert vor allem als Schlußfolgerung, die sich der Analytiker denkt.
Eine zweite Art, mit freier Assoziation umzugehen, hat viel mehr mit dem oben skizzierten Erlebensprozeß gemeinsam und kommt außerdem Freuds Vorstellungen viel näher. Hier assoziiert der Patient frei, bis er an eine Blockade stößt. Er spürt diese Blockade ganz konkret, ist aber außerstande auszudrücken, worin sie besteht. Dann zielt der Analytiker mit seinen Deutungen direkt auf diese augenblicklich gefühlte Blockade, so wie der Patient sie erlebt.
[5] PsychoanalytikerInnen halten es für sinnvoll, daß manche Deutungen, die während der Stunde kein Ergebnis zeitigen, von dem Patienten als "Hausaufgabe" mitgenommen werden sollen. Tatsächlich geschieht dies oft in der Psychoanalyse, aber heißt das nicht, daß der Therapeut seine Aufgabe, dem Patienten beim Durcharbeiten zu helfen, verfehlt hat? Wenn der Klient es mit dem Therapeuten nicht tun konnte - ist es wahrscheinlich, daß er es allein können wird?
[6] Die psychoanalytische Art, das oben Gesagte auszudrücken, wäre: Während wir auf das Vorbewußte antworten, steigt mehr und mehr Material aus dem Unbewußten in das Vorbewußte auf. Jedoch scheint es mir nicht richtig zu sein, etwas "vorbewußt" zu nennen, was sehr direkt wahrgenommen wird, oft sogar schmerzhaft - obwohl es nicht begrifflich klar ist und nur aus gerade aufkeimenden, gehemmten Reaktionen besteht. Dieses Phänomen "vorbewußt" zu nennen, würde nahelegen, der Prozeß sei schon voll entfaltet, nur auf versteckte Weise, während er doch tatsächlich noch nicht voll entfaltet ist.
[7] Man (der Klient sowie der Therapeut) kann intellektuell oft feststellen, was das Problem des Klienten ist, warum es da ist, was für eine Ätiologie, was für frühere Erfahrungen, welche Anteile des Klienten und anderer es gibt. Man kann sogar sagen, was für irgend jemand anderen in dieser Notlage eine Lösung sein könnte - obwohl natürlich Menschen, die solche Lösungen anwenden könnten, sich sowieso nicht lange in dieser Notlage befinden würden. Man stellt fest, daß diese Lösungen bei diesem Klienten nicht funktionieren. Ausgehend von der Vergangenheit des Klienten und seiner Art emotionaler und interaktiver Defizite, können wir häufig erkennen, warum es für ihn keine denkbare Lösung gibt, warum er wirklich sein und bleiben muß, wie er ist. Und da haben wir die Sackgasse, in der ein ausschließlich intellektueller Ansatz landet. Was jetzt?
Die rein intellektuelle "Klärung" der Persönlichkeitsprobleme des Klienten versagt, wenn er nicht seine Gefühle, seinen Erlebensprozeß fortgesetzt hat. Ein bloßes Auffinden von Tatsachen verändert nichts. In der Medizin (genauso wie bei der Autoreparatur) sind Diagnose und Heilung zwei verschiedene Abläufe. Zuerst muß man feststellen, was nicht stimmt, dann kann man entscheiden, was zu tun ist. Auf die Persönlichkeitsveränderung jedoch ist diese Trennung nicht anwendbar. Wenn der Klärungsprozeß selbst den Klienten nicht schon verändert hat, können wir nichts aus dem, was wir erfahren haben, schließen, was ihm helfen würde. Wir können nur genauer erklären, warum er wurde, werden mußte, wie er ist, warum er sich nicht ändern kann. Das beste, was wir tun können, wenn wir an diesem Punkt feststecken (alles zu wissen, aber nichts geändert zu haben), ist, den Klienten einladen, weiter zu forschen, sich nochmals dem, was wir beide schon wissen, zuzuwenden, in der Hoffnung, daß dieses Mal sein Gefühlsleben daran beteiligt sein wird, daß es sich fortsetzt und sich dadurch etwas löst, daß all das geschieht, was die PsychoanalytikerInnen "Durcharbeiten" nennen.
Der erlebensorientierte Ansatz kann auch als Angebot einer systematischen Methode für das betrachtet werden, was die Psychoanalyse "Durcharbeiten" nennt - etwas, was bemerkenswert selten auf systematische Weise in der psychoanalytischen Literatur diskutiert wird. Der Therapeut mag das Gefühl haben, er weiß über die allgemeine Richtung der Therapie Bescheid, aber die einzelnen Schritte des Durcharbeitens sind ihm im vorhinein nicht bekannt und können intellektuell nicht festgelegt werden. Sowohl Klient als auch Therapeut müssen sich an den Schritten des Erlebens orientieren - welche der Klient wirklich spürt, wenn sie sich entfalten. Beide mögen von den Wendungen, die diese Schritte nehmen, überrascht sein, und von der sich allmählich formenden Lösung.
Auch wenn der Therapeut möchte, daß der Klient zu bestimmten Ergebnissen kommt, muß er ertragen, daß Erlebensschritte eine Zeitlang in eine ganz andere Richtung gehen, als er sich vorstellt. Wenn er bereit ist, den Erlebensschritten zu folgen, dann wird entweder allmählich das Ziel, das er vorhergesagt hat, erreicht (trotz vieler Kursänderungen) oder, wenn das Endergebnis ihn überrascht, macht er die sehr überzeugende Erfahrung, daß eine Lösung möglich ist, die ganz anders ist, als er erwartet hat (Gendlin, 1967a).
Ein Therapeut, der es ablehnt, sich von den Erlebensschritten des Klienten führen zu lassen, hindert ihn für gewöhnlich daran, sich einem echten Lösungsprozeß anheimzugeben. Das soll nicht heißen, daß die Präsenz und die Antworten des Therapeuten als einer anderen Person den Klienten unberührt lassen. Im Gegenteil, man kann sagen, daß eine Lösung erst möglich wird, weil das Explizieren mit - und gegenüber - dieser Person etwas ganz anderes ist als allein nachzudenken oder nachzuspüren. Die Haltung und das Mitschwingen des Therapeuten wirken in tiefgreifender Weise sowohl auf die Person des Klienten als auch auf seine neu auftauchenden Erlebensaspekte, aber während dies geschieht, müssen beide den konkreten Schritten folgen, die sich zeigen und die direkt spürbar sind.
[8] Die psychoanalytische Art, dies zu formulieren, ist folgende: Die Energie, die die Verdrängung aufrechterhält, kommt aus dem Verdrängten selbst. D.h., die Energie, die jetzt die Erlösung verhindert, die jemand in der Therapie sucht, entstammt dem, was erlöst werden soll.
Es war Rogers' (1951) zentrale Entdeckung, daß der "Widerstand" aus dem Weg geräumt werden kann, wenn der Therapeut - statt dagegen anzugehen - mit der Sehnsucht, den Wahrnehmungen des Klienten und seinem Impuls, sich zu schützen, mitschwingt; das bedeutet, daß der Klient bald Schritte macht, durch die das "Verdrängte" (Rogers nannte es "dem Bewußtsein vorenthalten") in seinem positiven oder lebenserhaltenden Charakter zum Vorschein kommt, selbst wenn es zunächst ausgesprochen negativ oder selbstzerstörerisch war. Aber für diese Veränderung ist es notwendig, daß der Therapeut auf die wirklich von dem Klienten gefühlten Absichten eingeht, und zwar nicht mit Begriffen einer Bewertung, die von außen kommt.
Die psychoanalytische Version dieses Sachverhalts klingt ganz anders, so als ob es nur eine theoretische Feststellung über die Energiequelle wäre. Andererseits hat Rogers' Formulierung ("Glaube" an die Person, "Wachstumsprinzip", "Selbstaktualisierung") ein scheinbar idealistisches und optimistisches Licht auf diese Tatsache geworfen. Die erlebensorientierte Beschreibung erhellt nicht nur, daß sie ein fundamentaler Aspekt der menschlichen Organisation ist, sondern zeigt auch, warum vollständige Symbolisierung eines Problems nur als Fortsetzung des Erlebens möglich ist. Die Blockierung der Fortsetzungstendenz, die kulturell bedingt zum Konflikt führt, aber nicht zur Lösung, ist es, die ursprünglich das Problem erzeugt hat.
[9] Der erlebensbezogene Gebrauch von Konzepten ist auch durch diese Fußnoten, die die Psychoanalyse betreffen, illustriert worden: Wenn ich hier gesagt habe, daß eine klientenzentrierte Formulierung auch psychoanalytisch ausgedrückt werden könnte, meinte ich nicht, daß die beiden Formulierungen wirklich identisch seien oder die eine auf die andere reduziert werden könne. Im Gegenteil, ich bin mir der riesigen Unterschiede in jedem Begriff und seinen theoretischen Implikationen bewußt, aber gerade diese letzteren kann ich mit Hilfe des erlebensorientierten Gebrauchs von Konzepten beiseitelegen. Ich kann diese sehr unterschiedlichen theoretischen Begrifflichkeiten in ihrem Erlebensbezug benutzen, den sie auch haben. Dann stelle ich fest, daß ihr Erlebensbezug derselbe ist!
Was, zum Beispiel, bedeutet, jenseits von Theorie, der Begriff "dynamic shift" konkret? Worauf bezieht er sich, wenn er sich in der Praxis ereignet? Es ist fast dasselbe wie das, worauf sich mein ganz anderer Begriff "Veränderung des Bezugspunkts" bezieht.
Konzepte auf diese Weise zu benutzen, verlangt Bereitschaft, deren theoretische Widersprüche beiseitezulegen und nur ihren Erlebensbezug anzuwenden. Es bedeutet, von einem Gedankenschritt zum nächsten zu gehen, auf dem Boden dessen, worauf sich jedes Konzept erlebensmäßig bezieht und dessen, was wir daraus machen (wie wir es weiter ausdifferenzieren), statt sich nur an den theoretischen Implikationen entlang zu bewegen. Dies ist der erlebensbezogene Gebrauch von Konzepten, der in der Theorie des Erlebens (Gendlin, 1962a, 1962b, 1966) als eine Methode des Denkens entwickelt wurde.
[10] Eine "Interpretation" ist im klientenzentrierten Sprachgebrauch eine schlechte Intervention, eine, die intellektuell oder diagnostisch relevantes Material hervorbringt, das den Klienten von seiner Erlebensspur weg und ins Intellektualisieren hineinführt. Um terminologischer Verwirrung entgegenzuwirken, habe ich mich entschieden, dieses Kapitel über unsere Vorstellung von der wirksamsten Art therapeutischen Handelns zu schreiben. Ich nehme an, das ist das Thema, auf das sich der Titel dieses Buches bezieht.
Mit "Interpretation" meinen wir das, was auf der X-Achse des Diagramms liegt. Wir versuchen, sie zu meiden. Ich vermute, daß gute PsychoanalytikerInnen das ebenfalls tun, wie die Fenichel-Zitate weiter oben gezeigt haben.
[11] Diese ganze Veröffentlichung beschäftigt sich mit der Frage, wie eine therapeutische Intervention sein muss, damit sie einen "Prozeß des Durcharbeitens" in Gang setzt. Die meisten PsychotherapeutInnen stimmen darin überein, dass Therapie nicht nur intellektuell sein darf, sondern auch "Wiedererleben", "emotionales Verdauen", einen interaktiven Prozeß der "Übertragung" ermöglichen muss, in dem die Patientin nicht nur über ihre Gefühle spricht, sondern sie wiedererlebt, und zwar der Therapeutin gegenüber.
Aber auch dies, obwohl sehr wahr, charakterisiert noch nicht den Veränderungsprozeß. Es genügt nicht, wenn die Patientin mit der Therapeutin ihre unangemessenen Gefühle und Formen der Beziehungsgestaltung wiederholt. Schließlich heißt es ja, die Patientin wiederhole diese mit allen Personen in ihrem Leben, nicht nur mit der Therapeutin. Also, die bloße Wiederholung, selbst wenn sie ein konkretes Wiedererleben ist, löst noch nichts. Auf irgendeine Weise wiederholt die Patientin mit der Therapeutin nicht nur; sie überschreitet die Wiederholung. Sie wiedererlebt nicht nur; sie erlebt weiter, wenn sie Probleme erlebensorientiert löst.
Die psychoanalytische Literatur verbreitet sich ausführlich und differenziert über Persönlichkeitsinhalte und -konflikte, aber sehr sparsam darüber, wie der Prozeß des "Durcharbeitens" geschieht. Gleichermaßen elaboriert ist sie hinsichtlich der Wiederholung und des Wiedererlebens in der "Übertragung", aber zurückhaltend bei der Beschreibung dessen, wie die Übertragung konkret "gehandhabt" und "überwunden" wird. Aber dieses letztere ist natürlich, genauso wie die Übertragung, eine konkrete, lebendige Interaktion. Es ist Teil der Übertragung, es sind ihre letzten Stadien und der einzige Aspekt der Übertragung, der irgend etwas verändert, viel mehr als bloße wiederholende Erfahrungen.
* Anm. d. Übers. Der von Gendlin benutzte Ausdruck "response" wird in den meisten Fällen mit "Antwort" übersetzt, manchmal auch mit "Reaktion", verstanden als allgemeiner Begriff für verbale therapeutische Äußerungen in der erlebensorientierten Psychotherapie. Um von diesem allgemeinen Antworten das hier von Gendlin beschriebene spezifische Antworten im Sinn einer persönlichen, interaktionellen Rückmeldung zu unterscheiden, hat sich für letzteres im deutschen Focusing-Sprachgebrauch der Begriff "Response" eingebürgert.
* Anm. d. Übers. Die Heldin eines amerikanischen Romans des 19. Jahrhunderts, die mit engelsgleicher Güte auf alle ihr zugefügten Ungerechtigkeiten und Mißhandlungen reagierte.
* Das erste Kapitel entspricht dem "Teil 1" dieses Textes, der im Focusing-Journal Nr. 8, Juli 2002, abgedruckt wurde,
[12] Auf diese Weise haben die erlebensorientierten Beschreibungen der Psychoanalyse, die ich in diesen Fußnoten angeboten habe, veranschaulicht, dass die Psychoanalyse erlebensbezogen werden kann, genauso wie die klientzentrierte Psychotherapie es schon geworden ist. Wir können die unterschiedlichen theoretischen Begriffe in all ihrer Differenziertheit beibehalten sowie die Unterschiede zwischen ihnen (damit wir logisch und theoretisch argumentieren können, wenn wir wollen) und dennoch das, was konkret im Erleben geschieht und worauf wir uns beziehen, präzise formulieren. So eine erlebensbezogene Genauigkeit erlaubt auch die Entwicklung von Begriffen, die spezifisch genug sind, um operationale Forschungsvariablen aufzustellen, damit Unterschiede auf einer theoretischen Ebene sowohl durch Erfahrungsberichte als auch durch Forschung abgebildet werden können.