Norbert Groddeck
I. Zur Proqramatik
Der Focusing- Therapieansatz und die kunsttherapeutische Arbeit sind beides Orientierungen, die m.E. eine hohe Ähnlichkeit und Verwandtschaft aufweisen. De facto liegen sie in den institutionalisierten Therapie- und Psychotherapiefelder allerdings weit auseinander. Ich betrachte es als meine Aufgabe, diese beiden therapeutischen Arbeitsansätze im konzeptionellen Rahmen einer klientenzentrierten Kunsttherapie zusammen zu führen.
a) Zur Kunsttherapie
Die äußere Welt der Kunsttherapie und das Berufsbild des Kunsttherapeuten ist derzeit in Deutschland weitgehend institutionalisiert und klinifiziert. Dies bedeutet für humanistisch und personenszentriert orientierte Menschen folgende unerfreuliche Begleiterscheinungen:
In psychiatrischen Einrichtungen herrschen medizinische Sichtweisen und 8egriffssysteme, klinische Formen von Hierarchie, Arbeitsteilung und Spezialisierung sowie eine m.E. problematische Faszination an der sogenannten Runst der Geisteskranken, wie an den Runstwerken von behinderten Rünstlern und psychisch kranken Menschen.
Ein 8eispiel, wie trotz dieser Orientierungen eine künstlerisch akzentuierte und personenzentrierte kunsttherapeutische Arbeit in der Psychiatrie aussehen kann, zeigt mein VideoFilm von 1992 “ Auf den Spuren von Hans Prinzhorn - Das kunsttherapeutische Werk von Gertrud Lechner am Hadhzxer
Psychiatrischen Krankenhaus”.
Außerhalb der Psychiatrie, für die sogenannten “normal-neurotischen” Menschen in psychotherapeutischen und psychosomatischen Institutionen arbeiten die Runsttherapeuten weitgehend unselbständig und eingebettet in die ebenfalls medizinischen Kontexte der Ergo- Arbeits- und 8eschäftigungstherapien.
Und über alledem trohnt, und in alledem wohnt als konzeptionelle background ~aTheorie Psychoanalyse bzw. ihr tiefenpsychologische 8ehandlungsvarianten mit den Neigungen zu fixierbaren Symbollehren und konzeptgebundenen Interpretationen der Werke der Patienten .
Ihre Vertreter haben sehr früh schon die bildhaften Zeugnisse des unbewußten Traumlebens und die bildhaft-kollektiven Symbolwelten (Archetypen ) mit entsprechenden Assoziations- und Visualisierungstechniken aufgegriffen und bearbeitet (Freund, Jung, Dürkheim, Leuner).
In diese tiefenpsychologisch geprägte “Szene” ist eine humanistische, erlebenszentrierte und phänomenologische Orientierung erst sehr spät eingesickert. Vor allem durch Kreativtherapeuten und integrative Therapeuten im Sog der Gestalttherapie. Aber auch diese hat unter dem Druck des Kassenanerkennungsverfahrens rasch wieder eine Anlehnung an medizinische und psychoanalytische Krankheitsbilder und tiefenpsychologische 8ehandlungsverfahren gesucht und gefunden.
Humanistische, künstlerische, kunstpädagogische und heilpädagogische Orientierungen haben im 8erufsbild der Kunsttherapeuten derzeit noch wenig wirklichen Einfluß.
b) Zu Focusing-Konzept
Das Focusingkonzept ist eine zentrale psychotherapeutische Orientierung, die einen vertiefenden und erweiternden 8eitrag für die kunsttherapeutische Arbeit leisten kann. Wir versuchen dies in Deutschland durch unserer Aus- und Weiterbildungsarbeit in der Tradition des von Carl Rogers begründeten klientenzentrierten Ansatzes voranzubringen.
Rogers war der erste Psychotherapeut, der in seinem Therapiekonzept dem Akt der Wahrnehmung und dem Prozeß der Symbolisierung internaler Erlebenszustände einen zentralen Platz gegeben hat. Um seine therapeutischen Erfahrungen begrifflich zu ordnen benutzte er die Begriffe der europäischen Wahrnehmungs- und Gestaltpsychologie. Er machte deutlich, daß das Wahrgenommene nicht unabhängig von der Beziehung des Wahrnehmenden zu dem Objekt der Wahrnehmung zu verstehen 1st, und daß im Prozeß der Wahrnehmung sowohl Erkenntnis wie auch Veränderung, geschehen und deshalb auch für klientenzentrierte Therapeuten Diagnose und Therapie notwendig im Prozeß der Selbstexploration zusammenfallen.
Rogers hat die seiner Heinung nach optimale 8eziehungs- und Wahrnehmungskonstellation in den bekannten drei Einstellungsdimensionen beschrieben: Konkruenz, Akzeptanz und Empathie.
In diesem Sinne betonen wir in der kunsttherapeutischen Gestaltungsarbeit die Verwirklichung eines 8eziehungsangebotes, das geprägt ist von diesen Grundorientierungen:
Konkretheit und Konkruenz der Therapeutenperson. Dies auch als Einladung und als Modell für den Klienten als eine mögliche Lebensform in “menschlichen Maßen” und als 8asis für einen realen Dialog von Person zu Person.
Achtungsvolles und vertrauensvolles Sein- und Geschehen lassen der Person des Klienten (und des Therapeuten) in seiner je eigenen Lebensform und entsprechend seiner eigenen Lebensziele (Selbstaktualisierungstendenz).
Verständnis und erlebensbezogene Einfühlung (Empathie) in die innere Welt des Klienten und in deren normativen 8ezugrahmen als Weg zum besseren Selbstverstehen und zur Reduzierung interner Konflikte.
(“Anzuwenden” im therapeutischen Gescheh auf die Klientenperson und auf die Therapeutenperson)
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Darüber hinaus sind - gerade für die Kunsttherapeutische Arbeit -noch eine Reihe weiterer Orientierungen aus der Rlientenzentrierung von zentraler Bedeutung:
- Die Orientierung am Fluß des gegenwärtigen Erlebens, das in verschiedener Weise in Symbolisierungen Gestalt annehmen kann.
- Damit die Orientierung am prozeßhaften Vorgang des Werdens und der Entwicklung und Selbstverwirklichung der Person.
- Die Förderung der Fähigkeiten persönliche Entscheidungen zu fallen und personliche Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens zu übernehmen.
- Pörderung der Pers6nlichkeitsentwicklung durch signifiXantes Lernen
- Die Förderung subjektiven Sinns und des individuellen Selbstverstehens.
- Die Förderung selbstentdeckter und selbstgemachter kreativer “Problem-Lösungen”- und selbstgefundener “HeilungsMittel”, die aus den eigenen kreativen Potentialen des Rlienten entspringen (Ressourcenorientierung).
Eugen Gendlin hat mit dem Focusingkonzept diese zentralen Orientierungen der klientenzentrierten Psychotherapie aufgegriffen und weiterentwickelt.
Neben der veränderten Rolle des Therapeuten, der nun stärker als ein Experte für das Prozeßgeschehen gesehen wird, sind für die kunsttherapeutische Arbeit vor allem zwei weitere Dimensionen wichtig:
Die von Gendlin vorgenommene Konkretisierung des Ronstrukts der Aktualisierungstendenz und
die des Konstrukts der organismischen Fundierung subjektiver Wertungsprozesse, die beide zu dem neuen Konzept des “felt-sense” führen.
Die klientenzentrierte Psychotherapie gewann so zu dem bewährten Wissen um die Bedeutung emotionaler Vorgänge - und deren exakter Symboliserung durch die Sprache - ein erweitertes Verständnis von seelischen Erlebens- und Symbolisierungsprozessen. Damit ist m.E. auch theoretisch und konzeptionell den Weg frei für eine kunst- und kreativtherapeutische Arbeit im Rahmen der klientenzentrierten Orientierung. Wir haben somit die Möglichkeit, in den institutionalisierten Berufsfeldern der Kunsttherapie eine humanistische und erlebenszentrierte, phänomenologisch orientierte Alternative zur psychoanalytischen Kunsttherapie zu entwickeln. Ich mochte dies abschließend mit einigen Thesen veranschaulichen.
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II. Thesen zur konkreten Arbeit it Bildern und dem kö erli-rp
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Das körperliche Erleben (felt-sense) als Ausgangspunkt kunsttherapeutlscher Arbeit zu nehmen ist in vielfacher Hinsicht wertvoll :
1. Es bietet im therapeutischen Geschehen eine elegante Umorientierung an, um vom Distanz-Sinn des Sehens (Bild) in der äußeren Realität zum näheren gegenwärtigen inneren Erleben (Fu¨hlen) zu kommen. (Gerade in der künstlerisch-gestalterischen Szene ist die Orientierung an den Augen, dem Verstand und der visuellen Distanz oft eine Oberlebensstrategie vieler Henschen. Die neue Orientierung, vom k6rperlichen Erleben her “Bilder” fühlend entstehen zu lassen, hilft diesen Personen ihre strukturgebundene Erlebensmodalität zu verlassen und kreatives Neuland zu betreten.
Die Zentrierung auf das körperliche Erleben 6ffnet damit den Zugang zum inneren Überleben überhaupt und stellt somit sicher, daß im kunsttherapeutischen Arbeitsprozeß signifikante Bilder entstehen, die wlrklich aus dem Zentrum der Person kommen und a priori mit dem inneren Erleben verbunden sind. Diese brauchen nicht im Nachhinnein als Ausdruck des Unbewußten interpretiert zu werden, sondern können Ich-nahe von dem/r KlientenIn selbst verstanden und ausgelegt werden.
3. Wenn der Klient mit dem felt-sense in Kontakt komst, beginnt ein Xreativer Prozeß, in dem sich inneres Erleben unverstellt. artikulieren kann und weil strukturgebundene Zensuren und Rritikerstimmen weitgehend ausgeschaltet sind - sich auch kreative Potentiale und Problemlösungsressourcen artikulieren.
Damit sind Menschen relativ schnell im Zentrum einer nicht wertenden Wahrnehmung (die dem Künstler aus anderen Kontexten durchaus vertraut ist) und die in festgefahrene Problemdefinitionen neue Sichtweisen, andere Bedeutungen, und einen spielerischen Umgang mit “Sinn”, “Heilung” und “Aha-Erlebnissen” möglich machen.
5. In diesem besonderen, anregenden und angeregten Zustand (flow) spüren Menschen oft eine vage Ahnung davon, was und wie sie sein k6nnten. Sie entdecken ihre M6glichkeiten und ihre kreativen Potentiale. Diese artikulieren sich oft in anderen Modalitäten als den vertrauten, also z.B. als Bild, als Bewegungsimpuls, Gefiihl, Melodie, Geruch usw..
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6. Wenn Menschen in diesen offenen Erlebensprozeß eintreten und im Kontakt mit ihrem kreativen Potentia
sind, können sie auch sehr viel leichter und selbtverstandlicher mit der praktischen Gestaltungsarbeiten beginnen. Sie malen, plastizieren und gestalten ähnlich unverstellt und spontan so wie Rinder dies tun.
Gedanken an Ergebnisbewertung und Produktorientierung sind weitgehend neutralisiert.
7. Die Gestaltungspraxis der kunsttherapeutischen Arbeit trägt sodann den innerlich erlebten felt-sense in eine Gestaltungsrealität hinaus und leitet vom Fühlen und Wahrnehmen zum Handeln über. Kreativität kann sich so entwickeln und wirkliche Spuren und Zeugnisse hinterlassen. Diese geben dem Gestaltenden eine Bekräftigung seines Seins und eine Bestätigung seiner Talente.
8. Solche “Objektivationen” des felt-sense erleichtern sodann auch den therapeutischen Prozeß in vielerlei Hinsicht:
- Die Aufgabenstellung, den felt-sense als Bild oder plastisches Objekt zu gestalten (aber auch als Text, Tagebuch usw.) bietet ein Explorationsinstrument an, das relativ selbständig ohne Hinzutun des Therapeuten wirkt. Eine begonnene Gestaltungsarbeit drängt von sich aus auf weitere Ronkretisierung und auf eine abschließende “stimmige” Bildgestalt
Die Aufgabenstellung “gestalten” fordert eine selbständige Ronkretisierung (genauern), d.h., der Klient ist gezwungen, sich zu überlegen, welche Farbe sein inneres Erleben am besten symbolisiert, wie groß z.B.das ganze Geschehen auf der Bildfläche ist ( die hier zu einer Analogie für den Erlebensraum der Seele wird), wo genau es hingehört, wie genau es aussieht usw.. Etwas gestalten zu können setzt voraus, daß es konkret erlebt, gespürt und innerlich gesehen ist und es fördert genau diese Wahrnehmungsmodalität. Im Gestaltungsprozeß lernt der Rlient auch (wieder) zu spüren, wann sein Bild fertig ist, ob es stimmig ist etc.kurz: Entscheidungen vom felt sense her zu treffen und sich zunehmend auf seinen inneren Kompaß wieder zu verlassen.
So entsteht im Handlungsbereich durch die Gestaltung ein “kreativer symbolischer Übergangsraum”, den der Rlient sich selber erschaffen hat. Ein Zwischenreich durchaus zum handeln und zum experimentieren mit neuen Bedeutungen und kreativen Lösungen. In diesem Übergangsraum kann der Klient über seine “Werke” zu sich selbst in Beziehung treten und eine 8eziehungsathomsphäe gestalten, die selbstheilend wirken kann.
Zusa _ enfassung 2
Darüber hinaus ist die gestalterische Symbolisierung des felt-sense eine intensive Bestätiguns und Bekriftigung des eigenen Erlebens. Man kanr sich selbst im Bild wiedererkennen und kann ir der äußeren Realität sehen, daß da innen wirklic2 etwas existiert.
Gestalterische Arbeit befriedigt der “Urhebertrieb” (Martin Buber). Man hat etwas “gemacht”, hergestellt und es ist etwas “geworden”. Man beginnt Pähigkeiten zu entdecker und zu entwickeln, lernt das man gerne malt, etwas selber macht, sich Zeit für sich selbst nehmen kann usw.
Das fertige Bild ist ein Erinnerungsanker und hält die erlebnismäßige Ausgangssituation fest. Gelegentlich wird es während der Problemlösung und im weiteren Fortschritt des Prozesses noch einmal übermalt und weitergestaltet.
Es zeigt sich oft, daß das Bild mehr weiß, als der Maler. Der Prozeß der gestalterischen Symbolisierung ist ganzheitlich und vieldeutig und man kann mit dem Bild in eine Dialog-Beziehung eintreten und eine weitere Focusing-Runde mit dem “Produkt” starten.
Es ist hoffentlich deutlich geworden, daß die kunsttherapeutische Arbeit durch den Focusing-Prozeß vertieft und intensiviert werden kann und daß ungekehrt auch die Focusing-Arbeit durch eine konsequente praktisch-gestalterische Tätigkeit erleichtert und vertieft werden kann. Der Üebergang vom Erleben zum praktischen Tun, die Etablierung eines symbolischen Üebergangsbereiches in dem der Klient, ahnlich wie in der Spieltherapie, sein eigener Drehbuchautor und Urheber von vielfältigen Heilungsaktionen sein kann, ist m.E eine sinnvolle praktische Erweiterung der Focusingpsychotherapie in den Handlungsraum hinein.